Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer Wahl zur Schwerbehindertenvertretung und der stellvertretenden Mitglieder
Leitsatz (redaktionell)
1. Durch das Gebot der Öffentlichkeit nach § 12 Abs. 1 SchwbVWO sollen interessierte Personen die Möglichkeit erhalten, die Ordnungsmäßigkeit der Feststellung des Wahlergebnisses beobachten zu können, damit der Verdacht von Wahlmanipulationen "hinter verschlossenen Türen" nicht aufkommen kann. Zur Herstellung dieser Beobachtungsmöglichkeit ist es erforderlich, dass Ort und Zeit sämtlicher öffentlicher Kontrolle unterliegender Vorgänge im Wahlverfahren rechtzeitig vorher bekannt gegeben werden. Fehlt es daran, stellt dies einen Verstoß gegen eine wesentliche Wahlvorschrift dar.
2. Insbesondere, wenn der Wahlvorstand nach § 11 Abs. 2 SchwbVWO die generelle schriftliche Stimmabgabe beschlossen hatte, muss er rechtzeitig bekannt machen, wann und wo die in § 12 Abs. 1 SchwbVWO vorgeschriebene Behandlung der schriftlich abgegebenen Stimmen stattfinden wird.
Normenkette
SGB IX § 177 Abs. 6 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Hannover (Entscheidung vom 19.04.2023; Aktenzeichen 8 BV 13/22) |
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 5) - 20) und 22) - 23) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichtes Hannover vom 19. April 2023 - 8 BV 13/22 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Wahl zur Schwerbehindertenvertretung sowie der stellvertretenden Mitglieder.
Die Antragsteller zu 1) bis 3) sind wahlberechtigte Arbeitnehmer im Betrieb der Beteiligten zu 23) (im Folgenden: Arbeitgeberin). Die Arbeitgeberin befasst sich mit der Herstellung von Fahrzeugen und betreibt u. a. ein Werk in H..
Am 14. Oktober 2022 fand dort die Wahl der Schwerbehindertenvertretung sowie die Wahl der stellvertretenden Mitglieder statt. Der Beteiligte zu 5) wurde zur Vertrauensperson gewählt, die Beteiligten zu 6) bis 22) zu stellvertretenden Mitgliedern.
Ausweislich der Gesprächsnotiz vom 12. Juli 2022 (Bl. 50 d. A.) einigten sich die Mitglieder des Wahlvorstandes auf der Grundlage einer Erörterung mit dem Betriebsratsvorsitzenden des im Betrieb der Arbeitgeberin gewählten Betriebsrates sowie der Personalleiterin der Arbeitgeberin und einem weiteren Fachreferenten Personalwesen darauf, eine Empfehlung auszusprechen, 17 stellvertretende Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung zu wählen.
In der Sitzung des Wahlvorstandes am 25. August 2022 wurde u. a. hierüber ein entsprechender Beschluss gefasst (Bl. 48 d. A.). Mit Wahlausschreiben vom 25. August 2022 leitete der Wahlvorstand das Verfahren zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung sowie der stellvertretenden Mitglieder ein. Darin heißt es u. a. (Bl. 49 d. A.):
"...
11. Die Stimmabgabe zählt nur, wenn die Wahlunterlagen spätestens bis zum 14. Oktober 2022, 9.00 Uhr vormittags, beim Wahlvorstand eingegangen sind.
12. Der Wahlvorstand hat gemäß § 11 Abs. 2 SchwbVWO die schriftliche Stimmabgabe (im Folgenden: Briefwahl) beschlossen.
Allen Wahlberechtigten werden - ohne Aufforderung - die Wahlunterlagen für die Briefwahl durch den Wahlvorstand zugesandt.
13. Die gemäß § 177 SGB IX anstehende Wahl der Schwerbehindertenvertretung für den Standort H. endet mit der öffentlichen Stimmauszählung.
Am Freitag, 14. Oktober 2022 ab 9.00 Uhr vormittags,
im O.-B.-S. (Grün), Sektor ..., Hallengeschoss
in der das Wahlergebnis abschließend festgestellt wird.
..."
Die Öffnung der Freiumschläge, die Prüfung der Wahlunterlagen und das Vermerken der Stimmabgabe erfolgte am 14. Oktober 2022 im hinteren Bereich des im Wahlausschreibens bekannt gegebenen Ortes der Stimmauszählung (vgl. Bl. 46 ff. d. A.).
Am Ende der Stimmauszählung wurde die Anzahl der auf die jeweiligen Bewerber entfallenen Stimmen mündlich bekannt gegeben. Am 21. Oktober 2022 machte der Wahlvorstand das Wahlergebnis durch Aushang bekannt (Bl. 9 d. A.).
Mit ihrer am 4. November 2022 beim Arbeitsgericht Hannover eingegangenen Antragsschrift fechten die Beteiligten zu 1) bis 4) die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung sowie der stellvertretenden Mitglieder an. Sie haben u. a. die Auffassung vertreten, es sei gegen die Öffentlichkeit der Wahl verstoßen worden. Es sei nicht erkennbar gewesen, ob die Stimmabgaben ordnungsgemäß erfasst worden seien. Die Zweifel würden bereits aus dem Umstand resultieren, dass der Beteiligte zu 2) im Vorfeld der Wahl 100 Stützunterschriften erhalten habe, bei der Wahl jedoch lediglich 43 Stimmen auf ihn entfallen seien.
Die Antragsteller und Beteiligten zu 1) bis 4) haben beantragt,
die Wahl der Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen sowie die Wahl der stellvertretenden Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung im Betrieb der Arbeitgeberin am 14. Oktober 2022 für unwirksam zu erklären.
Die Beteiligten zu 5) bis 20) und 22) bis 23) haben beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Sie haben die Ansicht vertreten, zwischen der Öffnung der Freiumschläge "in öffentlicher Sitzung" und der "öffentlichen Auszählung" der Stimmen müsse unterschieden...