Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifvertrag. Auslegung. Beteiligung. ERTV-Anpassungsfond. Feststellungsinteresse. Information. Einseitige Minderung des Auszahlungsbetrages eines Anpassungsfonds infolge eines Teilbetriebsüberganges. Feststellungsantrag des Betriebsrats bei streitschlichtender Erheblichkeit der Rechtfrage und tarifvertraglichem Kontrollrecht
Leitsatz (amtlich)
1.Der Antrag auf Feststellung der richtigen Auslegung und Anwendung einer tariflichen Norm, welche dem Antragsteller zumindest bei der Verteilung des tariflich Festgelegten ein Beteiligungsrecht gibt, ist zulässig.
2. Gibt ein Tarifvertrag dem Betriebsrat einen Informationsanspruch über das vom Arbeitgeber nach tariflichen Vorgaben zu errechnende Volumen und sieht der Tarifvertrag ein Beteiligungsrecht des Betriebsrats für die Verteilung des Volumens vor, lässt sich daraus ein Recht des Betriebsrates zur Richtigkeitskontrolle herleiten.
Normenkette
TVERTV-Anpassungsfonds § 4; TV ERTV-Anpassungsfonds § 4b Abs. 2; TV ERTV-A § 4e; ArbGG § 2a Abs. 1 Nr. 2, § 80 Abs. 1; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Lüneburg (Entscheidung vom 24.10.2012; Aktenzeichen 4 BV 5/12) |
Nachgehend
Tenor
1) Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 24.10.2012 - 4 BV 5/12 - abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Beteiligte zu 2) verpflichtet ist, in den an die Anspruchsberechtigten zur Auszahlung kommenden ERTV-Anpassungsfonds gemäß § 4 b) 2. Absatz des Tarifvertrages ERTV-Anpassungsfonds einen Gesamtbetrag in Höhe von 1.326.185,51 Euro einzustellen.
2) Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Beteiligte zu 2) berechtigt ist, von dem nach § 4b) Abs. 2 des Tarifvertrages ERTV-Anpassungsfonds zur Auszahlung vorgesehenen Betrag Beträge abzuziehen, die Beschäftigten zuzurechnen sind, die wegen eines Teilbetriebsüberganges vom 01.04.2007 nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis zur Beteiligten zu 2) stehen. In diesem Zusammenhang streiten sie um die Zulässigkeit des Antrags.
Die Beteiligte zu 2), die etwa 480 Arbeitnehmer beschäftigt, ist Mitglied im Verband der Metallindustrie Niedersachsen. Der Antragsgegner ist ihr Betriebsrat. Auf den Betrieb und die dort bestehenden Arbeitsverhältnisse finden die Tarifverträge für die Metallindustrie Niedersachsen Anwendung. Es gelten unter anderem der Tarifvertrag ERTV-Anpas-sungsfonds vom 18.12.2003 (im Folgenden: TV ERTV-A) und der Überleitungstarifvertrag zum Entgeltrahmentarifvertrag vom 19.02.2004 zur Einführung des Entgeltrahmentarifvertrages (im Folgenden: ERA). Am 01.04.2007 ging die Schmiede der Beklagten durch Rechtsgeschäft auf die Firma A. GmbH über. Eine Teilauszahlung des Anpassungsfonds für die betroffenen Beschäftigten nach § 4e) TV ERTV-A haben die Betriebsparteien nicht geregelt. Mit E-Mail vom 09.01.2012 teilte die Beteiligte zu 2) dem Antragsteller mit, es seien in dem "ERA-Topf" 1.567.821,00 Euro; hiervon seien Einführungskosten in Höhe von 241.635,49 Euro in Abzug zu bringen; bei einer vollen Auszahlung ergebe sich pro Person ein Betrag in Höhe von 2.768,65 Euro. Die Betriebsparteien besprachen, dass die gemeinsam definierten Begünstigten den Betrag mit der Januarabrechnung 2012 erhalten sollten und fertigten einen von ihnen unterschriebenen Aushang mit Datum vom 13.01.2012, der folgenden Wortlaut hat:
Auszahlung der ERA-Strukturkomponente
mit der Januarabrechnung 2012
Sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
mit der Entgeltabrechnung Januar 2012 erhalten alle Berechtigten eine Einmalzahlung aus dem "ERA-Topf", also dem Betrag, der für gegebenenfalls entstehende Mehrkosten durch die ERA-Einführung zurück gestellt wurde.
Unter berechtigte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind alle die Personen zu verstehen, die bereits am 30.06.2006 (Ende der Ansparphase der ERA-Strukturkomponente) und immer noch am 01.04.2011 (ERA-Einführungszeitpunkt) bei der B. GmbH in C-Stadt beschäftigt waren.
Entsprechend der Ankündigung erfolgte im Januar 2012 eine Zahlung an die Arbeitnehmer der Beteiligten zu 2). Mit Aushang vom 29.02.2012, auf den verwiesen wird (Bl. 49 d. A.), teilte die Beteiligte zu 2) mit, ihr sei bei der Ermittlung des Einmalbetrages ein Fehler unterlaufen, es sei zu einer Überzahlung gekommen. Mit Datum vom 19.04.2012 versandte sie Rückforderungsschreiben an die Arbeitnehmer entsprechend dem Musterschreiben wie Bl. 8 d. A. Hiergegen wandte sich der Antragsteller. Er forderte die Beteiligte zu 2) auf, von einer Rückforderung abzusehen.
Er hat die Auffassung vertreten, die Beteiligte zu 2) habe den Anpassungsfonds mit 1.326.185,51 Euro zutreffend errechnet. Sie sei nicht berechtigt, ihn um Beträge zu reduzieren, die Arbeitnehmern zuzurechnen seien, deren Arbeitsverhältnisse auf die A. GmbH übergegangen seien. Denn diese Arbeitnehmer partizipierten nicht mehr an dem Topf. Eine Teilauszahlung sehe der Tarifvertrag lediglich in § 4e) Abs. 2 vor. Eine solche Regelun...