Entscheidungsstichwort (Thema)
Offensichtlichkeitsprüfung. Anrufung der Einigungsstelle im Falle einer bestehenden Betriebsvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
Eine bestehende Betriebsvereinbarung zum Regelungsgegenstand steht im Rahmen der „Offensichtlichkeitsprüfung” des § 98 ArbGG einer Anrufung der Einigungsstelle nur dann nicht entgegen, wenn sie bereits gekündigt ist und Verhandlungen zwischen den Betriebspartnern keine Ergebnisse zeitigen oder die geschlossene Betriebsvereinbarung nicht abschließend und ergänzungsbedürftig ist.
Normenkette
ArbGG § 98; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
ArbG Lüneburg (Beschluss vom 15.04.2008; Aktenzeichen 3 BV 1/08) |
Tenor
Die Beschwerde des Betriebsrats und Bet. zu 2) gegen den am 15. April 2008 verkündeten Beschluss des Arbeitsgerichts Lüneburg – 3 BV 1/08 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Einigungsstelle zur Regelung der Arbeitszeit der in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmer in der Filiale der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 1) in L. einzusetzen ist. Der Betriebsrat und Beteiligte zu 2) vertritt den Rechtsstandpunkt, dass die von der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 1) am 22. September 2006 zum 31. Dezember 2006 gekündigte Betriebsvereinbarung über die Jahresarbeitszeit- und Freizeitmodelle (Bl. 4 bis 6, 8 d. A.) auf Grund einer ergänzenden Vereinbarung vom 20. November 2006 (Bl. 53 d. A.) fortgelte. Damit sei – mangels einer erneuten Kündigung der Arbeitgeberin – die angerufene Einigungsstelle wegen einer bestehenden Arbeitszeitregelung offensichtlich unzuständig sei.
Auf die Anhörung vom 2. April 2008 hat das Arbeitsgericht Lüneburg am 15. April 2008 einen Beschluss verkündet, wonach dem arbeitgeberseitigen Antrag entsprechend eine Einigungsstelle über „Verhandlung und Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Regelung der Arbeitszeit der in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmer/innen des Betriebs L. einschließlich Gastronomie mit Ausnahme Abteilungsleiter, Assistenten und Auszubildenden” einzusetzen ist. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, dass eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle im Blick auf das Bestehen einer Betriebsvereinbarung nicht anzunehmen sei, wenn deren Wirksamkeit – wie vorliegend die Vereinbarung vom 20. November 2006 –, angezweifelt werde. Gegen die Qualität dieser Vereinbarung als Betriebsvereinbarung spreche, dass sie nicht in der gehörigen Form abgefasst worden sei und eine körperliche Verbindung mit der vermeintlich wieder in Kraft gesetzten Betriebsvereinbarung vom 31. Dezember 2005 fehle. Dem sei aber nicht weiter nachzugehen, da es nicht die Aufgabe des Gerichts sei hierüber abschließend zu befinden. Die aufgezeigten Zweifel könnten jedenfalls eine offensichtliche Unzuständigkeit der beantragten Einigungsstelle nicht zur Folge haben. Im Interesse der zügigen Einsetzung der Einigungsstelle müsse diese selbst überprüfen, ob eine bestehende Betriebsvereinbarung der Regelung der Arbeitszeit im Wege stünde. Zur Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung im Einzeln und zum Vorbringen der Beteiligten im ersten Rechtszug wird auf Blatt 67 bis 72 der Gerichtsakten sowie auf den Berichtigungsbeschluss zur Rechtsmittelbelehrung (Bl. 84 d. A.) verwiesen.
Der am 15. April 2008 verkündete Beschluss des Arbeitsgerichts ist mit berichtigter Rechtsmittelbelehrung dem Betriebsrat und Beteiligten zu 2) am 25. April 2008 zugestellt worden (Bl. 86 d. A.). Der Betriebsrat hat hiergegen Beschwerde nebst Begründung zum Landesarbeitsgericht am 5. Mai 2008 eingelegt (Bl. 89 d. A.).
Der Betriebsrat und Beteiligte zu 2) wiederholt und vertieft mit der Beschwerde sein erstinstanzliches Vorbringen. Eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle sei gegeben, wenn es zum Regelungsgegenstand eine noch geltende, ungekündigte Betriebsvereinbarung gäbe. Mit der Vereinbarung vom 20. November 2006 sei für 2007 die Betriebsvereinbarung vom 31. Oktober 2005 mit Änderungen wieder in Kraft gesetzt worden. Deshalb sei – auch im Blick auf das in ein Kalenderjahr ausgelegte roulierende Arbeitszeitsystem – eine neue Verhandlung mit Einsetzung der Einigungsstelle nur möglich, wenn gemäß Ziffer 5 der noch geltenden Betriebsvereinbarung die Arbeitszeitregelung mit 3monatiger Kündigungsfrist zum Jahresende gekündigt werde, was – insoweit unstreitig – nicht geschehen sei. Die Frage, ob eine Betriebsvereinbarung noch existiere oder nicht, könne das Arbeitsgericht im Einigungsstelleneinsetzungsverfahren nicht dahinstehen lassen; andernfalls könnte jede Betriebspartei nach Abschluss einer Betriebsvereinbarung sofort wieder die Einigungsstelle anrufen. Bewerte man die Vereinbarung vom 22. November 2006 nur als Übergangsregelung, sei auf Grund der Nachwirkung der Betriebsvereinbarung eine frühstmögliche Ablösung der Betriebsvereinbarung zum 1. Januar 2009 möglich, da alle Mitarbeiter bereits für 2008 ihren Freizeitkalender erhalten hätten, der sich auch auf die Urlaubsplanung auswirke. Der Betriebsrat sei anso...