Entscheidungsstichwort (Thema)
Tariffähigkeit einer Spitzenorganisation. Tarifanwendung in der Schifffahrt
Leitsatz (redaktionell)
1. Die International Transport Workers Federation (ITF) ist als Spitzenorganisation tariffähig, § 2 Abs. 3 TVG. Für die Tariffähigkeit ausreichend ist, dass ihrer Satzung durch Auslegung derselben die Berechtigung zum Abschluss von Tarifverträgen zu entnehmen ist.
2. Die zwischen der ITF und deutschen Reedern geschlossenen „Internationales Seeschifffahrtsregister-Flottenverträge” (ISR-Flottenverträge) und ISR-Sonderverträge besitzen als Tarifverträge nach deutschem Recht unmittelbare normative Rechtswirkung.
Normenkette
TVG § 2 Abs. 3, § 4 Abs. 1 S. 1; EGBGB Art. 27 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1, Art. 30 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Lingen (Urteil vom 17.10.2001; Aktenzeichen 2 Ca 633/00) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 17. Oktober 2001 – 2 Ca 633/00 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:
- Die Klage gegen die Beklagte zu 1) wird als unzulässig abgewiesen.
- Es wird festgestellt, dass dem Kläger zum Stichtag 10. Oktober 1999 aus dem Heuerverhältnis mit der Beklagten zu 3) 138 Urlaubstage zustanden.
Die Beklagte zu 3) wird verurteilt, an den Kläger 9.568,13 EUR brutto zuzüglich von 4 % Zinsen seit dem 11. Februar 2000 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden nach einem Wert von 20.514,38 EUR zu 19 % dem Kläger und zu 81 % der Beklagten zu 3), die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens nach einem Wert von 19.373,44 EUR zu 15 % dem Kläger und zu 85 % der Beklagten zu 3) auferlegt.
Der Kläger trägt die im Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und zu 2) in vollem Umfang, seine eigenen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens und die der Beklagten zu 3) zu je 15 % nach einem Wert von 19.373,44 EUR.
Die Beklagte zu 3) trägt ihre im Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten sowie die des Klägers zu je 85 % nach einem Wert von 19.373,44 EUR.
Die durch die Anrufung des Arbeitsgerichts Hamburg entstandenen Mehrkosten werden dem Kläger auferlegt.
Die Revision wird für die Beklagte zu 3) zugelassen.
Für den Kläger und die Beklagten zu 1) und 2) wird sie nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob die Beklagten dem Kläger Heuer nach deutschen tariflichen Bestimmungen, hilfsweise Schadenersatz, zahlen müssen.
Der in D. wohnende Kläger ist philippinischer Staatsangehöriger. Er war seit September 1989 ununterbrochen bei der Beklagten zu 3), die ihren Geschäftssitz in H. hat, beschäftigt. Er war stets auf dem von dieser bereederten Küstenmotorschiff MS. M. D. als Decksmann/Koch eingesetzt (Bl. 10 d.A.). Bereits bei Begründung des Arbeitsverhältnisses hatte der Kläger einen Wohnsitz in Deutschland. Die Beklagte zu 3) hat die Beklagte zu 2) damit beauftragt, wesentliche Teile der Bereederung für sie durchzuführen, insbesondere die notwendigen Arbeitsverträge abzuschließen. Die Beklagte zu 3) gehört keinem Arbeitgeberverband an, der Kläger ist Mitglied der deutschen Gewerkschaft ver.di.
Der mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 3) geschlossene für vier Monate befristete Heuervertrag vom 26. November 1991 (Bl. 8 d.A.) bestimmt:
1. Die Reederei ist nicht tarifgebunden, es gelten somit weder Heuertarifvertrag noch MTV-See.
…
3. Nur für die Höhe der Heuer wird auf den HTV-See Bezug genommen, Einstufung 1989.
…
4. Alle Ansprüche hinsichtlich Heuer- und Urlaubsabrechnung sind vom Arbeitnehmer binnen einer Frist von einem Monat, seit Aushändigung der Heuerabrechnung an, schriftlich geltend zu machen und im Fall der Ablehnung binnen einer Frist von einem weiteren Monat einzuklagen.
Weitere schriftliche Verträge wurden im Prozess nicht vorgelegt. Der Kläger wurde über das Befristungsende hinaus weiter beschäftigt.
Der Kläger erhielt von Beginn des Arbeitsverhältnisses an eine untertarifliche Vergütung, die mit Ausnahme einer Erhöhung um 103,79 EUR 1992 und der Erhöhung der Einzelüberstundenvergütung um 0,03 EUR 1991 unverändert blieb. Sie betrug im Jahr 1999 786,36 EUR brutto zuzüglich einer Einzelüberstundenvergütung von 4,24 EUR. Die tarifliche Grundheuer zuzüglich Seefahrerzulage belief sich im September 1999 für Decksmänner ab dem 5. Jahr auf 1.170,86 EUR brutto zuzüglich einer Einzelüberstundenvergütung von 5,39 EUR.
Mit Wirkung zum 5. April 1989 wurde gemäß § 13 a FlRG (jetzt: § 12 FlRG) ein zusätzliches Schiffsregister, das Internationale Seeschifffahrtsregister (ISR), eingerichtet. In dieses werden auf Antrag des Eigentümers zur Führung der Bundesflagge berechtigte, im internationalen Verkehr betriebene Kauffahrteischiffe eingetragen. Für Arbeitsverhältnisse von ausländischen Besatzungsmitgliedern der im ISR eingetragenen Schiffe ohne Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet findet gemäß § 21 Abs. 4 FlRG deutsches Recht nicht schon deshalb Anwendung, weil das Schiff die Bundes...