Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 4 AÜG. Tarifvertragliche Verlängerung der Einsatzzeiten der Leiharbeitnehmer
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Arbeitnehmerüberlassung, die von Beginn an für einen begrenzten Zeitraum erfolgt, ist als "vorübergehend" zu qualifizieren, wenn die Überlassungsdauer die Höchstgrenze des § 1 Abs. 1 b AÜG nicht überschreitet. Dabei ist es unerheblich, ob der Leiharbeitnehmer auf einem Dauerarbeitsplatz im Entleihunternehmen eingesetzt wird.
2. Nach § 1 Abs. 1 b Satz 3 AÜG kann in einem Tarifvertrag von den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche eine abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. Eine tarifvertragliche Erweiterung der Höchstüberlassungsdauer auf bis zu 48 Monate ist durch § 1 Abs. 1 b Satz 3 AÜG gedeckt.
Normenkette
GG Art. 12 Abs. 1; RL 2008/104/EG Art. 3 Abs. 1; AÜG § 1 Abs. 1 S. 4, Abs. 1 b, § 9 Abs. 1 Nr. 1b, § 10 Abs. 1 S. 1; TzBfG § 14 Abs. 2 S. 3; TV LeiZ § 2 Abs. 3 Fassung: 2018-02-15, § 3 Fassung: 2018-02-15, § 4 Nr. 1 Fassung: 2018-02-15
Verfahrensgang
ArbG Hannover (Entscheidung vom 07.10.2020; Aktenzeichen 11 Ca 174/20) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 07.10.2020 - 11 Ca 174/20 - abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen aufgrund des Leiharbeitnehmer-Einsatzes des Klägers kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist oder der Kläger zumindest einen Anspruch auf Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages mit der Beklagten über eine Vollzeittätigkeit als "Logistiker" hat.
Der am 3. Juli 1980 geborene Kläger ist Mitglied der IG Metall und seit dem 17. Oktober 2016 auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 12. Oktober 2016 (Anlage K 1 zur Klagschrift, Bl. 28 ff. d. A.) bei der R Deutschland GmbH & Co. KG (nachfolgend kurz "R" genannt), die seit dem 24. Oktober 1973 über eine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung verfügt (vgl. Anlage 2 zum Beklagtenschriftsatz vom 17. Juli 2020, Bl. 85 d. A.), als Produktionsmitarbeiter mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 35 Stunden beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war zunächst befristet bis zum 31. Januar 2017 und wurde über diesen Zeitpunkt hinaus verlängert.
Seit Beginn seines Arbeitsverhältnisses mit R wurde der Kläger im Wege der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung als Logistiker von der Beklagten in ihrem Werk in A-Stadt eingesetzt.
Die Beklagte - Mitglied im D. Niedersachsens e.V. - vereinbarte mit dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrats am 11. November 2020 eine "Gesamtbetriebsvereinbarung über den Einsatz von Leiharbeitnehmern in M&L vari" (vgl. Anlage K 3 zur Klagschrift, Bl. 40 d. A., nachfolgend kurz "GBV Zeitarbeit" genannt), in der es - auszugsweise - heißt:
"Zwischen dem Gesamtbetriebsrat der Standorte A-Stadt & G und den Geschäftsführungen der W GmbH und der W Logistik GmbH (die "W - Gesellschaften") wird folgende Vereinbarung getroffen.
Zur Gewährleistung der Flexibilität in den Produktionsbereichen wird grundsätzlich der Einsatz von Leiharbeit vereinbart.
Folgendes wird zum Einsatz von Leiharbeitnehmern festgelegt:
1. Der Anteil der Leiharbeitnehmer kann insgesamt maximal bis zu 25 % (je Werk A-Stadt / G) der Gesamtbeschäftigten (inkl. unbefristete, befristete und Leiharbeitnehmer) in den Produktions-, Lager- und Logistikbereichen (Mitarbeiterkategorie M & L vari, auch direkte Mitarbeiter genannt) betragen.
Darüber hinaus können Einstellungen von Arbeitnehmern nur über befristete oder unbefristete Arbeitsverhältnisse bei W getätigt werden. [...].
2. Das Entgelt der Leiharbeitnehmer entspricht grundsätzlich dem eines vergleichbaren internen W Mitarbeiters. Ausgenommen davon sind über Betriebsvereinbarungen oder sonstige Regelungen vereinbarte übertarifliche freiwillige Zulagen, unter anderem [...].
3. [...]
4. Die Betriebsvereinbarung tritt mit Wirkung zum 01.01.2011 in Kraft. Sie wird unbefristet abgeschlossen und kann mit einer Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Quartalsende von beiden Seiten gekündigt werden."
Unter dem Datum des 15. Februar 2018 vereinbarten der D. und die IG Metall - Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt - den "Tarifvertrag Leiharbeit / Zeitarbeit (TV LeiZ)" vom 31. Mai 2017 in der Fassung vom 15. Februar 2018, gültig ab dem 01.01.2019" (nachfolgend folgend "TV LeiZ" genannt). In diesem Tarifvertrag heißt es auszugsweise:
"§ 1
Geltungsbereich
Für diesen Tarifvertrag gilt der Geltungsbereich des Manteltarifvertrages (MTV).
§ 2
Einsatz von Leih-/Zeitarbeitsbeschäftigen
(1) Durch den Einsatz von Leih-/Zeitarbeit darf für die Beschäftigten im Entleihbetrieb keine feststellbare Beeinträchtigung der Entgelt- und Arbeitsbedingungen und keine feststellbare Gefährdung der Arbeitspl...