Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung einer Bäckereifachverkäuferin bei Verdacht der Unterschlagung von Kundengeldern. Wahrung arbeitsvertraglicher Ausschlussfrist durch Eingang einer demnächst zuzustellenden Widerklage bei Gericht
Leitsatz (amtlich)
1. Einzelfallentscheidung zur außerordentlichen Kündigung einer Bäckereifachverkäuferin wegen des Verdachts der Unterschlagung von Kundengeldern.
2. § 167 ZPO ist auch dann anwendbar, wenn es um die Wahrung einer vertraglichen Ausschlussfrist zur außergerichtlichen Geltendmachung geht.
Leitsatz (redaktionell)
1. Vereinnahmt eine Arbeitnehmerin Geld des Arbeitgebers unerlaubt für sich oder besteht insoweit zumindest ein dringender Verdacht, kann dieses Verhalten eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Die Arbeitnehmerin verletzt mit einem solchen Verhalten unabhängig von einer strafrechtlichen Bewertung in erheblichem Maße ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen ihres Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB.
2. Eine Verdachtskündigung ist nur gerechtfertigt, wenn Umstände vorliegen, die geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören. Der Verdacht muss dringend sein und eine große Wahrscheinlichkeit für die Pflichtwidrigkeit der gekündigten Arbeitnehmerin nahelegen.
3. Umstände, die den Verdacht begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, dass eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag. Die Verdachtsumstände müssen auf objektiven Tatsachen beruhen und geeignet sein, dass für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen aus der Sicht eines verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgebers zu zerstören, so dass lediglich auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht ausreichen.
4. Hat eine Bäckereifachverkäuferin an fünf Tagen von einem Kunden Geld kassiert, ohne den Kassiervorgang zu registrieren, begründen diese Umstände einen ausreichenden dringenden Verdacht der Unterschlagung, insbesondere wenn aus den Kassenabschlüssen kein Überschuss über dem sich aus der Registrierung ergebenen Sollbestand ergibt.
Normenkette
BGB § 626; ZPO § 167; BGB § 241 Abs. 2, § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Hannover (Entscheidung vom 13.01.2015; Aktenzeichen 13 Ca 310/14) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 13.01.2015 - 13 Ca 310/14 - teilweise - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.584,85 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.07.2014 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Auf die Widerklage des Beklagten wird die Klägerin verurteilt, an den Beklagten 33,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. Oktober 2014 zu zahlen. Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.
Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 79 %, der Beklagte zu 21% zu tragen.
Die Revision wird für die Klägerin zugelassen, soweit sie verurteilt wurde, an den Beklagten 33,00 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zweitinstanzlich um die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise fristgerecht ausgesprochenen Kündigung des Beklagten, um Zahlungsansprüche sowie einen Auflösungsantrag der Klägerin.
Die Klägerin war seit dem 06. April 2010 bei dem Beklagten, der mehrere Bäckereifilialen in und um A-Stadt betreibt und regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer iSd. § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt, als Bäckereifachverkäuferin auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 26. März 2010 (Anl. K 1 zur Klageschrift Bl. 5 ff. d. A.) zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt ca. 1.700,00 € bei 35 Wochenstunden zuletzt in der Filiale HF in der K-Straße in A-Stadt beschäftigt. Die Zentrale des Beklagten befindet sich im C-Straße in A-Stadt.
In dem Arbeitsvertrag der Parteien heißt es in § 14 unter der Überschrift “Ausschlussfrist„ - soweit hier von Interesse - auszugsweise wörtlich:
“Alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung sowie alle mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehenden Ansprüche verfallen, wenn sie nicht binnen einer Frist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich gegenüber der anderen Partei geltend gemacht werden„.
Zur Überprüfung seiner Filialen beauftragte der Beklagte im Jahr 2014 ein in der Bäckereibranche tätiges Detektivunternehmen, die Firma XY. Die Firma XY veranlasste zunächst, dass alle Mitarbeiter mit Kassenzugang, so auch die Klägerin, im März 2014 eine neue, einheitliche Arbeitsanweisung erhielten (Anl. B 1 zum Schriftsatz des Beklagten vom 10. Oktober 2014, Bl. 61 ff. d. A.). Diese Arbeitsanweisung unterschrieb d...