Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Teilzeitarbeit. Fiktionseintritt. Vorausetzung für Fiktionseintritt. Selbstbestimmungsrecht der Kirchen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Fiktion des § 8 Abs. 5 Satz 2 TzBfG greift nur, wenn das Verlangen auf Reduzierung der Arbeitszeit so eindeutig gestellt ist, dass bei Schweigen des Arbeitgebers der geänderte Vertragsinhalt eindeutig feststeht. Das ist nicht der Fall, wenn die Arbeitnehmerin eine Reduzierung „im Rahmen von 19,25 bis 25 Stunden” beantragt.
2. Im Tätigkeitsfeld der Caritas steht das durch Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleistete kirchliche Selbstbestimmungsrecht dem Anspruch auf Teilzeittätigkeit nicht generell entgegen. Kirchliche Belange sind aber bei der Prüfung des Vorliegens (dringender) betrieblicher Belange i.S. von § 1 a Abs. 1 der Anlage 5 der AVR-Caritas bzw. i.S. von § 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG zu berücksichtigen.
3. Ist nach dem Selbstverständnis des kirchlichen Trägers eines Krankenhauses der dort angebotene Sozialdienst integraler Bestandteil des Werks christlicher Nächstenliebe, dem das Krankenhaus dient, und ist die deshalb angestrebte umfassende Betreuung der Patienten durch den Sozialdienst zur Vermeidung von Koordinationsproblemen und Reibungsverlusten nur zu gewährleisten, wenn die dort eingesetzten Sozialarbeiter Vollzeit arbeiten, so liegen dringende betriebliche Belange i.S. von § 1 a Abs. 1 der Anlage 5 der AVR-Caritas und damit zugleich betriebliche Belange. i.S. von § 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG vor, die dem Teilzeitwunsch entgegenstehen.
Normenkette
TzBfG § 8; AVR-Caritas § 1a Anl. 5
Verfahrensgang
ArbG Osnabrück (Urteil vom 05.09.2002; Aktenzeichen 1 Ca 739/01) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 05.09. 2002 – 1 Ca 739/01 – teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:
Die Widerklage wird abgewiesen, soweit die Beklagte begehrt, sie auf ihren Antrag vom 15.06.2001 als Diplom-Sozialarbeiterin im Krankenhaussozialdienst des M. in O. mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19,25 Stunden zu den im Übrigen unveränderten Bedingungen des Anstellungsvertrages vom 09.11.1993 zu beschäftigen.
Ebenso wird die Widerklage abgewiesen, soweit die Beklagte begehrt, den Kläger zu verurteilen, ihrem Antrag vom 28.09.2001 zur Reduzierung ihrer Arbeitszeit auf 19,25 Stunden zuzustimmen.
im Übrigen sind Klage und Widerklage erledigt. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob die vollzeitbeschäftigte Beklagte Anspruch auf Reduzierung ihrer Arbeitszeit hat.
Die Beklagte ist seit 1991 bei dem Kläger, der mehr als 15 Arbeitnehmer beschäftigt, als Diplomsozialarbeiterin im Sozialdienst des M., dessen Träger der Kläger ist, tätig. Kraft einzelvertraglicher Vereinbarung finden auf das Arbeitsverhältnis die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR Caritas) in der jeweiligen Fassung Anwendung. § 1 der AVR Caritas bestimmt:
Wesen der Caritas, Dienstgemeinschaft
(1) Die Caritas ist eine Lebens- und Wesensäußerung der katholischen Kirche. Die dem Deutschen Caritasverbandes angeschlossenen Einrichtungen dienen dem gemeinsamen Werk christlicher Nächstenliebe. Dienstgeber und Mitarbeiter bilden eine Dienstgemeinschaft und tragen gemeinsam zur Erfüllung der Aufgaben der Einrichtung bei. Die Mitarbeiter haben den ihnen anvertrauten Dienst in Treue und in Erfüllung der allgemeinen und besonderen Dienstpflichten zu leisten.
(2) Der Treue des Mitarbeiters muss vonseiten des Dienstgebers die Treue und Fürsorge gegenüber dem Mitarbeiter entsprechen.
(3) Auf dieser Grundlage regeln sich alle Beziehungen zwischen Dienstgeber und Mitarbeiter.
§ 1 a der Anlage 5 der AVR Caritas bestimmt:
(1) Mit vollbeschäftigten Mitarbeitern soll auf Antrag eine geringere als die regelmäßige Arbeitszeit vereinbart werden, wenn sie a) mindestens ein Kind unter 18 Jahren… tatsächlich betreuen oder pflegen und dringende dienstliche und betriebliche Belange nicht entgegenstehen.
Die Teilzeitbeschäftigung nach Unterabs. 1 ist auf Antrag bis zu fünf Jahre zu befristen. Sie kann verlängert werden,…
(2) Für Einrichtungen mit mehr als 15 Mitarbeitern gilt im Übrigen § 8 des Gesetzes über Teilzeit und befristete Arbeitsverträge.
Das M…. ist ein Akutkrankenhaus mit 570 Betten. Insgesamt werden jährlich mehr als 23.000 Patienten behandelt. Die durchschnittliche Verweildauer der Patienten, die Ende 2000/Anfang 2001 noch acht bis neun Tage betrug, sank bis zum ersten Quartal 2003 auf fünf bis sechs Tage. Seit dem 1. Januar 2003 rechnet das M…. nur noch nach Fallpauschalen ab.
Der Sozialdienst ist nach dem Selbstverständnis des Klägers eine Ergänzung der ärtzlichen, pflegerischen und therapeutischen im M…. erfolgenden Versorgung. Die Mitarbeiterinnen des Sozialdienstes beraten und begleiten danach die Patienten in ihrer durch Krankheit verän...