Entscheidungsstichwort (Thema)
betriebsbedingte Kündigung. Stilllegung eines Betriebsteils. Massenentlassungsanzeige. Weiterbeschäftigung innerhalb des Konzerns
Leitsatz (amtlich)
1. Die Stilllegung eines Betriebsteils durch den Arbeitgeber zählt gemäß § 1 Abs. 2 Satz § 1 KSchG zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen, die einen Grund zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung abgeben können.
2. Das Kündigungsschutzgesetz ist nicht konzernbezogen. Eine unternehmensübergreifende Weiterbeschäftigungspflicht in einem Konzern besteht nicht, wenn die unternehmerische Entscheidung getroffen worden ist, den einen Betrieb stillzulegen, den Betrieb eines anderen Konzernunternehmens aber mit im Wesentlichen gleichemTätigkeitsfeld ohne erhebliche Aufstockung der Belegschaft weiterzuführen.
3. Dem Arbeitgeber, der in Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gekündigt und erst nachher die Massenentlassung gegenüber der Agentur für Arbeit angezeigt hat, ist für den Zeitraum bis zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 27.01.2005 Vertrauensschutz zu gewähren, so dass die Kündigungen nicht wegen Verstoßes gegen §§ 17 ff. KSchG unwirksam sind.
Normenkette
KSchG §§ 1, 17-18; BetrVG § 102
Verfahrensgang
ArbG Hannover (Urteil vom 12.05.2004; Aktenzeichen 5 Ca 645/03) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 12.05.2004, 5 Ca 645/03, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung und dabei zuletzt insbesondere über die Frage, ob die Nichterstattung einer Massenentlassungsanzeige vor Ausspruch der Kündigung zu deren Unwirksamkeit führt.
Der 1964 geborene, ledige Kläger war seit dem 05.02.1990 auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 12.02.1990 (Bl. 4, 5 d.A.) bei der Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt und bezog zuletzt eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von 3.321,00 EUR. Die Beklagte, eine Tochter der DP W…, ist ein Logistikunternehmen und unterhielt an 15 Standorten einen eigenen Fuhrbetrieb mit etwa 60 Fahrzeugen und 120 Arbeitnehmern. Der überwiegende Teil des vorhandenen Auftragsvolumens wurde mit insgesamt 1800 Fahrzeugen täglich von unabhängigen Spediteuren erledigt.
Die Beklagte vereinbarte mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat am 08.08.2003 einen Interessenausgleich und Sozialplan mit Namensliste, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 96 – 124 d.A.). Hiernach sollte unter anderem der eigene Fuhrpark und der dafür verantwortliche kaufmännische Bereich geschlossen werden. Der Kläger ist in der Namensliste als von der Kündigung betroffener Mitarbeiter aufgeführt.
Mit Schreiben vom 20.08.2003 (Bl. 125 d.A.), zugegangen am 15.09.2003, hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten Kündigung des Klägers an. Dem Schreiben war eine Anlage beigefügt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 279, 280 d.A.). Der Betriebsrat stimmte der Kündigung unter dem 17.09.2003 (Bl. 125 d.A.) zu.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit einem dem Kläger am 23.09.2003 zugegangenen Schreiben vom 19.09.2003 zum 29.02.2004 (Bl. 6 d.A.) und bezifferte die dem Kläger zustehende Abfindung mit 20.579,00 EUR (Bl. 126 d.A.).
Neben dem Kläger erhielten alle Arbeitnehmer des Fuhrparks eine Kündigung. Der Fuhrpark wurde dann tatsächlich am 31.12.2003 geschlossen. In einer Betriebsversammlung vom 18.12.2003 wurde allen Arbeitnehmern mitgeteilt, dass für die Zeit nach der Stilllegung eine unwiderrufliche Freistellung ausgesprochen werde.
Mit Schreiben vom 22.12.2003 (Bl. 348 – 359 d.A.) erstattete die Beklagte Massenentlassungsanzeige bei der Bundesanstalt für Arbeit (jetzt: Agentur für Arbeit). Bereits in einem ersten Gespräch mit Mitarbeitern des Arbeitsamtes am 04.06.2003 war der Beklagten mitgeteilt worden, dass lediglich für die Fahrer in H… eine Massenentlassungsanzeige zu erfolgen habe, nicht jedoch vor Ausspruch der Kündigung. Auf eine Voranfrage der Beklagten vom 13.08.2003 (Bl. 309 d.A.) teilte die Bundesanstalt für Arbeit unter dem 27.08.2003 mit, die jeweiligen Anzeigen sollten spätestens im Oktober 2003 bzw. Januar 2004 vollständig eingehen (Bl. 310 d.A.).
Die Beklagte zeigte daraufhin mit Schreiben vom 06.10.2003 die Massenentlassungen an (Bl. 311 – 323 d.A.). Da die Entlassungszeitpunkte auf die Zeiträume vom 31. Dezember 2003 bis zum 30.04.2004 verteilt waren, bat der Mitarbeiter der Agentur für Arbeit H… die Beklagte, die Anzeige erst im Dezember 2003 einzureichen, was dann am 22.12.2003 erfolgte.
Durch Zustimmungsbescheid vom 28.01.2004 (Bl. 360, 361 d.A.) wurde dann die Sperrfrist bis zum 31.01.2004 festgesetzt und darüber hinaus für die angezeigten Entlassungen die Zustimmung erteilt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe den Betriebsrat anlässlich der Betriebsänderung nicht in ordnungsgemäßer Weise beteiligt. Ein Gespräch zwischen Geschäftsleitung und ordnungsgemäß besetzten Betrie...