Rechtsmittel eingelegt unter dem Aktenzeichen: 10 AZR 336/11
Entscheidungsstichwort (Thema)
Abrufarbeitsverhältnis. Arbeitszeitvereinbarung im Abrufarbeitsverhältnis
Leitsatz (amtlich)
Die konkludente Vereinbarung einer Mindestarbeitszeit kann sich aus einer einvernehmlichen Vertragshandhabung und Vertragspraxis ergeben. Diese Mindestarbeitszeit ist auch dann maßgebend, wenn nach Arbeitsvertrag ein Abrufarbeitsverhältnis nach TV-Fleischuntersuchung vereinbart ist.
Normenkette
TV-Fleischuntersuchung § 6; TzBfG § 12; BGB § 307 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 10.08.2010; Aktenzeichen 1 Ca 54/10) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 10.08.2010 abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die Arbeitsverhältnisse der Kläger mit dem Beklagten ab dem 01.01.2010 mit einer wöchentlichen Mindestarbeitszeit von 39 Stunden im Jahresdurchschnitt fortbesteht.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren die Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis mit der wöchentlichen Mindestarbeitszeit von 39 Stunden im Jahresdurchschnitt fortbesteht.
Die Kläger sind als Fleischkontrolleure bei dem beklagten Landkreis beschäftigt und eingesetzt in privaten Großbetrieben, die Rinder und Schweine schlachten und verarbeiten. Die Arbeitsverhältnisse bestehen seit 1994 (Kläger zu 1), 2000 (Kläger zu 2), 1994 (Kläger zu 3) und 1997 (Kläger zu 4). Die Entlohnung erfolgte und erfolgt nach Stundenvergütung, nicht nach Stückvergütung. Wegen der durchschnittlich erzielten Bruttomonatsentgelte wird Bezug genommen auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils.
Die Kläger sind nicht tarifgebunden. In den Arbeitsverträgen ist inhaltsgleich vereinbart:
§ 2
Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure außerhalb öffentlicher Schlachthöfe vom 01.04.1969 und den diesen ergänzenden und ändernden Tarifverträgen.
§ 3
Die Beschäftigung erfolgt nach Bedarf in verschiedenen Schlachtbetrieben im Kreis V-Stadt. Die Arbeitszeit richtet sich nach der Schlachtdauer unter Berücksichtigung des jeweiligen Dienstplanes.
Die Einsatzzeiten der Kläger sind in Arbeitszeitkonten erfasst worden. Die monatliche Entgeltzahlung ist bis zum 31.12.2010 auf der Basis einer 39-Stunden-Woche gleich 169,6 Stunden monatlich berechnet und ausgezahlt worden. Der Beklagte hat erstinstanzlich Aufstellungen vorgelegt, aus der sich die monatliche Vergütung von 169,60 Stunden für 2007 bis 2009 ergeben sowie der Stand der Mehrarbeitsstunden am Jahresende:
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Kläger zu 1 |
2006 + 361,78 Stunden |
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2007 + 316,08 Stunden |
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2008 + 247,38 Stunden |
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2009 + 93,18 Stunden |
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Kläger zu 2 |
2006 + 475,86 Stunden |
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2007 + 104,66 Stunden |
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2008 + 227,46 Stunden |
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2009 + 98,76 Stunden |
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Kläger zu 3 |
2006 + 361,58 Stunden |
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2007 + 253,38 Stunden |
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2008 + 174,68 Stunden |
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2009 + 42,98 Stunden |
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Kläger zu 4 |
2006 + 692,06 Stunden |
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2007 + 295,36 Stunden |
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2008 + 325,16 Stunden |
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2009 + 263,46 Stunden |
Seit dem 01.01.2011 rechnet der Beklagte die tatsächlich abgeleisteten Stunden pro Monat ab.
Die Kläger haben vorgetragen, nach tatsächlicher Vertragsdurchführung, nämlich Bezahlung als Vollzeitarbeitsverhältnis und Stundeneinsatz mindestens entsprechend einer Vollbeschäftigung, sei ein Anspruch entstanden auf zukünftigen entsprechenden Einsatz. Dass über die Wochenarbeitszeit von 39 Stunden hinaus Mehrarbeitsstunden anfielen und diese Mehrarbeitsstunden über ein Arbeitszeitkonto erfasst und abgewickelt würden, werde nicht beanstandet und geschehe im Einverständnis mit den Klägern. Die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf die tariflichen Regelungen für Fleischkontrolleure stehe dem Anspruch nicht entgegen, die tariflichen Regelungen entsprächen nicht den Anforderungen nach § 12 TzBfG.
Die Kläger haben beantragt,
festzustellen, dass die Arbeitsverhältnisse der Kläger mit dem Beklagten ab dem 01.01.2010 mit einer Mindestarbeitszeit von 169 Stunden pro Monat fortbestehen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, mit arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf die tarifvertraglichen Regelungen für Fleischkontrolleure sei ein wirksames Abrufarbeitsverhältnis vereinbart worden, das auch eine Verringerung der Einsatzzeiten unterhalb der Grenze der Vollbeschäftigung ermögliche. Die tariflichen Regelungen entsprächen den Anforderungen des § 12 Abs. 3 TzBfG.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Mit Berufung machen die Kläger geltend, dass die in Bezug genommenen tariflichen Regelungen für Fleischkontrolleure nach Geltungsbereich nicht vollbeschäftigte Arbeitnehmer erfassten. Sie seien aber seit Jahren, teilweise seit Jahrzehnten mit mehr als der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit beschäftigt worden und entsprechend Vollbeschäftigung entlohnt worden. Aufgrun...