Entscheidungsstichwort (Thema)

Sittenwidrigkeit. Lohnwucher

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung i.S.v. § 138 Abs. 2 BGB liegt vor, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns erreicht.

 

Normenkette

BGB § 138 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Hannover (Urteil vom 02.07.2009; Aktenzeichen 6 Ca 190/08)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 18.04.2012; Aktenzeichen 5 AZR 630/10)

 

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 02.07.2009 – 6 Ca 190/08 – wird zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung der ersten Instanz wird wie folgt neu gefasst: Der Kläger zu 1) trägt die erstinstanzlichen Kosten zu 22 % und die Klägerin zu 2) sowie der Kläger zu 3) zu jeweils 39 %.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger zu 1) zu 34 %, die Klägerin zu 2) zu 27 % und der Kläger zu 3) zu 39 %.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der zwischen ihnen vereinbarte Stundenlohn in Höhe von umgerechnet 7,87 EUR brutto pro Stunde mit der Rechtsordnung vereinbar ist.

Die Kläger werden von der Beklagten seit mehreren Jahren als Briefzusteller beschäftigt. Vereinbart ist eine Bruttomonatsvergütung von 766,94 EUR bei einer 22,5-Stunden-Woche. Die Kläger sind Mitglieder der Dienstleistungsgesellschaft B..

Die Beklagte ist weder über einen von ihr geschlossenen Haustarifvertrag noch über eine Verbandsmitgliedschaft unmittelbar tarifgebunden. Sie ist, wie sich schon aus der Firmenbezeichnung ergibt, eine ZVG, welche sich daneben auch mit der Zustellung von Briefen befasst. Auf der Ebene des operativen Geschäftes hat die Beklagte die Zustellung von Tageszeitungen, Wochenzeitungen und Zeitschriften einerseits sowie die Zustellung von Briefsendungen andererseits organisatorisch getrennt. Als reine Briefzusteller beschäftigt sie derzeit ca. 21 Personen. Diese erhalten eine einheitliche Dienstkleidung sowie eine Belehrung über das Postgeheimnis. Den Briefzustellern werden von der Beklagten einheitlich aussehende Dienstfahrräder zur Verfügung gestellt. In der Briefzustellung bedient die Beklagte 14 Bezirke. Die Briefzustellung geht von einem zentralen Depot aus, für welches die Beklagte Betriebsräume gemietet hat. Dort findet auch die notwendige Feinsortierung der Briefsendungen durch die Briefzusteller statt. Die tatsächliche Tätigkeit der Briefzusteller wird durch den sogenannten Depotleiter, Herrn J., koordiniert. Demgegenüber beschäftigt die Beklagte ca. 75 Personen als Zeitungszusteller und für die Zustellung der Wochenblätter noch einmal ca. weitere 35 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Einige der Mitarbeiter werden auch in beiden Bereichen (Briefzustellung einerseits, Zeitungszustellung andererseits) tätig. Bezogen auf die Stückzahlen der zugestellten Sendungen beförderte die Beklagte im Kalenderjahr 2009 ca. zu 30 % Briefe und zu 70 % Zeitungen und Anzeigenblätter. Die Beklagte hat dazu eine Aufstellung der „Mengendaten ZVG A. (2009)” zur Akte gereicht (Bl. 295 d. A.).

Zum 01.01.2008 ist die Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Branche der Briefdienstleistungen vom 28.12.2007 in Kraft getreten. Vor dem Arbeitsgericht haben die Kläger zunächst Lohndifferenzen für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis zum 30.11.2008 geltend gemacht, wobei sie sich ausgehend von den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden an dem Bruttostundenlohn aus der Postmindestlohnverordnung in Höhe von 9,80 EUR brutto orientiert haben.

Die Kläger haben vorgetragen, dass sie bei der Beklagten in einer selbständigen Betriebsabteilung zum Zwecke der Briefzustellung beschäftigt seien. Sie fielen damit unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages über Mindestlöhne für die Branche Briefdienstleistungen vom 29.11.2007, welcher durch die Verordnung vom 28.12.2007 seit dem 01.01.2008 allgemeinverbindlich gelte. Für das Ausliefern von Briefsendungen haben sie den Mindestlohn nach § 3 Abs. 2 b des Tarifvertrages über Mindestlöhne für die Branche Briefdienstleistungen in Höhe von 9,80 EUR brutto je Stunde geltend gemacht.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1) 1.150,74 EUR brutto und an jeden der Kläger zu 2) und 3) 2.109,69 EUR brutto, jeweils mit 5 Prozentpunkten Zinsen p. a. über dem Basiszinssatz gem.§ 247 BGB aus jeweils 191,79 EUR brutto für die Kläger zu 2) und 3) seit dem 16.02., 16.03., 16.04., 16.05., 16.06., 16.07., 16.08., 16.09., 16.10., 16.11. und 16.12.2008 sowie für den Kläger zu 1) seit dem 16.02., 16.03., 16.04., 16.05., 16.06. und 16.07.2008 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass die Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Branche Briefdienstleistungen vom 28.12.2007 nichtig sei. Da die Beklagte auch nicht als Tarifvertragspartei oder Verbandmitglied an den Tarifvertrag vom 29.11.2007 über Mindestlöhne für die Branche Briefdienstleistungen gebun...

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