Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Auswirkungen der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB. Anspruch auf schriftliche Entgeltabrechnung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist der gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweis für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Einer solchen Bescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis, dass krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt, als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer eine solche Bescheinigung vorlegt.
2. Bleibt nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen ein nicht behebbarer Zweifel, geht dies gem. § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders. Voraussetzung ist, dass die Auslegung einer einzelnen Bestimmung mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und von diesen keines den klaren Vorzug verdient. Es müssen aber erhebliche Zweifel an der richtigen Auslegung bestehen.
3. Gem. § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO ist dem Arbeitnehmer bei Zahlung des Arbeitsentgelts eine Abrechnung in Textform zu erteilen. Einklagbar ist diese Abrechnung erst dann, wenn die Entgeltfortzahlung tatsächlich erfolgt ist.
Normenkette
EFZG § 5; BGB § 305c Abs. 2; GewO § 108 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 24.07.2019; Aktenzeichen 3 Ca 95/19) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten und unter Zurückweisung ihrer weitergehenden Berufung wird das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 24. Juli 2019 - 3 Ca 95/19 - teilweise abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen, soweit die Klägerin die Erteilung einer Entgeltabrechnung für den Monat Februar 2019 begehrt.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 1/15 und die Beklagte 14/15 zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Entgeltfortzahlung einschließlich eines sogenannten Fahrgeldes sowie um die Erteilung einer Entgeltabrechnung. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien nebst Anträgen sowie der Würdigung, die jenes Vorbringen dort erfahren hat, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 24. Juli 2019 (3 Ca 95/19 - Bl. 74 bis 80 d.A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat ausgeführt: Die Klägerin könne für die Zeit vom 8. bis 22. Februar 2019 Entgeltfortzahlung verlangen. Sie habe ihre krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit durch Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Bl. 63 d.A.) nachgewiesen. Deren Beweiswert sei nicht erschüttert. Insbesondere sei das Gespräch der Klägerin mit einem Kollegen vom 8. Februar 2019 hierfür nicht geeignet. Sollte sie ihre Arbeitsunfähigkeit in dem Gespräch nicht erwähnt haben, so sei zu berücksichtigen, dass ein Kollege nicht der richtige Adressat für eine Krankmeldung gewesen wäre. Auch die Äußerung, die Klägerin arbeite in dem Einsatzbetrieb nicht weiter, weil sie darin keinen Sinn sehe, vermöge keine Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu begründen. Sie lasse auch nicht auf mangelnden Leistungswillen schließen. Für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit stehe der Klägerin auch das arbeitsvertraglich vereinbarte Fahrgeld zu, denn dabei handele es sich um fortzuzahlendes Entgelt, das ohne Rücksicht auf die Entfernung und auf die Länge von Fahrzeiten mit 185 Euro monatlich unabhängig davon vereinbart worden sei, ob tatsächlich Mehraufwendungen entstanden oder belegt worden seien. Ferner könne die Klägerin aus § 108 Satz 1 GewO eine korrigierte Abrechnung verlangen.
Gegen das ihr am 2. August 2019 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am 12. August 2019 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Frist am 4. November 2019 begründet.
Die Berufung führt aus: Durch die Erklärung, in einer Weiterarbeit im Einsatzbetrieb keinen Sinn mehr zu sehen, habe die Klägerin ihre fehlende Leistungsbereitschaft zum Ausdruck gebracht, zumal sie im Zeitpunkt des Telefonats noch nicht beim Arzt gewesen sei und nicht habe wissen können, ob sie bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 22. Februar 2019 krankgeschrieben werden würde. Ferner sei hierdurch der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert, zumal die Diagnose "Sonstige und nicht näher bezeichnete Bauchschmerzen", die augenscheinlich auf der Symptomschilderung der Klägerin beruht habe, keine medizinisch begründbare Prognose für eine vierzehntägige Arbeitsunfähigkeit zugelassen habe. Dem Anspruch auf Fahrgeld stehe zum einen entgegen, dass aus den genannten Gründen Entgeltfortzahlung nicht geschuldet sei und zum anderen das vereinbarte Fahrgeld einen echten Aufwendungsersatz darstelle. Dies ergebe sich aus der Bezeichnung als "Fahrgeld" und daraus, dass die Klägerin außerhalb des Betriebs der Beklagten eingesetzt worden sei, so das...