Entscheidungsstichwort (Thema)
angemessene Vergütung. Rückschlagsperre. mehrere Insolvenzanträge. Unwirksamkeit einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung nach § 88 InsO
Leitsatz (amtlich)
Zur Bestimmung der zeitlichen Reichweite des § 88 InsO „Rückschlagsperre”) ist bei mehreren Eröffnungsanträgen auch dann auf den ersten zulässigen und begründeten Insolvenzantrag abzustellen, wenn das Insolvenzverfahren erst aufgrund des späteren Antrags eröffnet wird. Voraussetzung dabei ist, dass„dieselbe Insolvenz” vorliegt, der Schuldner sich also zwischen den Insolvenzanträgen nicht wirtschaftlich erholt hat, und dass 2. der frühere Antrag nicht rechtskräftig abgewiesen worden ist (§ 139 Abs. 2 InsO). Die Rücknahmefiktion des § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO stellt dabei keine „rechtskräftige Abweisung” dar, solange nicht auch die materiellen Antragsvoraussetzungen für den ersten Antrag weggefallen sind.
Normenkette
ZPO § 850h; InsO §§ 88, 139 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Wilhelmshaven (Urteil vom 16.06.2010; Aktenzeichen 2 Ca 76/10) |
Tenor
Die Berufung des klagenden Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts B-Stadt vom 16.06.2010 – 2 Ca 76/10 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen einer Drittschuldnerklage über die wirksame Pfändung von verschleiertem Arbeitseinkommen.
Das klagende Land begehrt die Erfüllung von Steuerschulden durch den Streithelfer der Beklagten (im Folgenden: Schuldner). Der Schuldner gründete 1992 einen ambulanten Pflegedienst als Einzelunternehmen. Mit Schreiben vom 20.05.2005 zeigte der Schuldner dem Finanzamt B-Stadt an, in den Jahren 1993 bis 2003 Einnahmen aus selbständiger Arbeit in erheblichem Umfang nicht vollständig der Besteuerung unterworfen zu haben. Der Schuldner verkaufte seinen Betrieb zum 01.09.2005 an die Beklagte. Er selbst wurde als Arbeitnehmer bei der Beklagten mit der Aufgabe eines Pflegedienstleiters zu einer monatlichen Vergütung von 1.994,20 EUR bei einer 30-Stunden-Woche eingestellt.
Am 17.08.2006 beantragte der Schuldner beim Amtsgericht B-Stadt als Insolvenzgericht die Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens, hilfsweise die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens. Grund hierfür war die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, da Verbindlichkeiten in Höhe von ca. 425.000,00 EUR bestanden. Mit Verfügung vom 02.10.2006 wies das Amtsgericht darauf hin, dass es den Insolvenzantrag vom 17.08.2006 ausschließlich als Verbraucherinsolvenzantrag behandele und verlangte die Beibringung weiterer Unterlagen für ein Verbraucherinsolvenzverfahren. Mit Beschluss vom 08.11.2006 stellte das Amtsgericht mit Rücksicht auf § 305 Abs. 3 InsO durch Beschluss fest, dass der Antrag vom 17.08.2006 als zurückgenommen gelte (Bl. 162 f. d. A.). Über die Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens entschied das Amtsgericht B-Stadt nicht gesondert.
Mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 21.11.2008 (der Beklagten zugestellt am 24.11.2008) pfändete das Finanzamt A-Stadt wegen Steuerrückständen des Schuldners in Höhe von 446.106,08 EUR die Forderungen des Schuldners auf Zahlung von (fiktiven) Arbeitseinkommen und ließ sich die gepfändeten Ansprüche zur Einziehung überweisen.
Unter dem 19.03.2009 beantragte der Schuldner vorsorglich nochmals die Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens (Bl. 168 f. d. A.). In der Zeit zwischen dem ersten Insolvenzantrag aus August 2006 und dem weiteren Insolvenzantrag aus März 2009 erholte sich der Schuldner wirtschaftlich nicht mehr. Zum Zeitpunkt der weiteren Antragstellung bestanden Verbindlichkeiten in Höhe von ca. 500.000,00 EUR.
Mit der am 24.03.2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verfolgt das klagende Land die Ansprüche auf die fiktive Arbeitsvergütung des Schuldners weiter.
Mit Beschluss vom 07.04.2009 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Schuldners sowie die weitere Rechtsbeschwerde blieben erfolglos.
Das klagende Land hat behauptet, die vom Schuldner bezogene Bruttovergütung in Höhe von 1.994,20 EUR sei nicht angemessen. Als angemessene Vergütung sei von einem Betrag von 7.000,00 EUR pro Monat auszugehen. Der Schuldner sei faktischer Geschäftsführer der Beklagten und dort so tätig, wie er es als Inhaber des von ihm früher geführten Einzelunternehmens gewesen sei.
Das klagende Land hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin
- 14.214,90 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf je 2.043,95 EUR seit dem 01.12.2008 und 01.01.2009 sowie auf jeweils 2.025,40 EUR seit dem 01.02., 01.03., 01.04., 01.05. und 01.06.2009 zu zahlen;
- ab Juni 2009 jeweils am 01. des Folgemonats die sich aus den Freigrenzen ergebenen pfändbaren Beträge zu zahlen mit der Maßgabe, die Zahlung auf die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses zu begrenzen, ausgehend von einem Bruttoeinkommen von 7.000,00 EUR monatlich sind dies derzeit 2.025,40 EUR.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bestreite...