Revision

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Massenentlassung. Junk-Entscheidung. richtlinienkonforme Auslegung. Abfindungsanspruch. Widerspruch gegen Betriebsübergang

 

Leitsatz (amtlich)

1.) Zur Auswirkung der Entscheidung des EuGH vom 27.01.2005 – Junk-Entscheidung – auf Massenentlassungen, die vor Verkündung dieser Entscheidung durchgeführt worden sind. Keine Möglichkeit der richtlinienkonformen Auslegung des bestehenden § 17 KSchG.

2.) Ausschluss von Abfindungsansprüchen aus einem Sozialplan für Arbeitnehmer, die einem Betriebsübergang widersprechen – weiter Ermessensspielraum der Betriebspartner –.

 

Normenkette

KSchG § 17; BGB § 613a

 

Verfahrensgang

ArbG Braunschweig (Urteil vom 10.11.2004; Aktenzeichen 4 Ca 16/04)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 12.07.2007; Aktenzeichen 2 AZR 470/05)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 10.11.2004 – 4 Ca 16/04 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung vom 18.12.2003, einen Weiterbeschäftigungsanspruch, einen Anspruch auf Nachteilsausgleich sowie einen Anspruch auf Sozialplanabfindung.

Die Klägerin ist 1947 geboren, und geschieden. Sie ist bei der Beklagten seit dem 08.10.1990 als Produktionsmitarbeiterin in der Abteilung Gewebestanzerei beschäftigt. Ihr durchschnittliches Bruttomonatsentgelt hat zuletzt 1.757,00 EUR betragen.

Die Beklagte hat bis zum 15.08.2004 in B… die Produktion von Helmen im Dreischichtbetrieb durchgeführt. Sie beschäftigte in der Produktion ca. 275 Arbeitnehmer.

Im Jahr 2002 stellte die Beklagte Überlegungen zur Verlagerung der Produktion an. Die Beklagte unterrichtete den Betriebsrat über ihre ersten Überlegungen zur Betriebsänderung. Schließlich entschloss sich die Beklagte zur Verlagerung der Produktion nach M…. Dort wurde eine neue Firma, die S… GmbH (im Folgenden S…), gegründet.

Im Oktober 2003 nahm die Beklagte Verhandlung mit dem Betriebsrat über den Abschluss eines Sozialplans und eines Interessenausgleichs auf.

Mit einem 4-seitigen Schreiben vom 06.01.2003 unterrichtete die Beklagte die Klägerin über die bevorstehende Verlagerung der Produktion nach M… und über die Übertragung auf die neu gegründete Firma S…. Die Beklagte wies die Klägerin auf ihr Recht, dem Betriebsübergang zu widersprechen, hin. Sie teilte mit, dass das Arbeitsverhältnis übergehe, wenn nicht widersprochen werde, dass aber auch in diesem Fall wegen verbesserter Rahmenbedingungen und der dadurch gewonnenen Leistungssteigerung Personal eingespart werden würde. Sobald bekannt sei, wie viele Arbeitnehmer tatsächlich mit dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse auf die Firma S… einverstanden seien, also keinen Widerspruch einlegen würden, werde der Personalüberhang in M… ermittelt und festgestellt, wem ordnungsgemäß gekündigt werden müsse. Die betroffenen Personen würden im Rahmen der Sozialauswahl ermittelt. Die nähere Ausgestaltung würde in einem noch zu vereinbarenden Sozialplan festgelegt.

Mit Schreiben vom 02.12.2003 widersprach die Klägerin einem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses, ebenso wie weitere 118 Mitarbeiter.

Am 03.12.2003 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich und einen Sozialplan ab. In § 3 des Sozialplanes sind Leistungen für Mitarbeiter geregelt, deren Arbeitsverhältnis in M… fortgesetzt wird. § 5 des Sozialplans sieht Abfindungen für Mitarbeiter vor, die nach Übergang ihres Arbeitsverhältnisses betriebsbedingt aufgrund Rationalisierungsmaßnahmen gekündigt werden. In § 5 Abs. 3 des Sozialplans ist geregelt, dass die Mitarbeiter, die Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses einlegen, keine Abfindung erhalten. Fällig wird eine Abfindung gem. § 6 Abs. 2 des Sozialplans erst mit rechtskräftiger Beendigung eines etwaigen Kündigungsschutzverfahrens. Schließlich wird gem. § 5 Abs. 4 des Sozialplans ein Härtefondsausschuss eingerichtet, mit dessen Hilfe besondere soziale Härtefälle im Zusammenhang mit der auszusprechenden Kündigung ausgeglichen werden sollen. Wegen des weiteren Inhalts des Interessenausgleichs sowie des Sozialplans wird auf diese Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 15.12.2003 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu einer Kündigung der Klägerin an. Am 17.12.2003 erklärte der Betriebsrat, keine weitere Stellungnahme zu den beabsichtigten Kündigungen abgeben zu wollen.

Mit Schreiben vom 18.12.2003 sprach die Beklagte gegenüber der Klägerin die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 15. August 2004 aus.

Die Beklagte informierte bereits am 15.12.2003 die Bundesagentur für Arbeit über die geplante Massenentlassung von mehr als 100 Arbeitnehmern. Mit Schreiben vom 01.07.2004, das am 07.07.2004 bei der Bundesagentur für Arbeit einging, erstattete die Beklagte Massenentlassungsanzeige.

Hätte kein Arbeitnehmer dem Betriebsübergang widersprochen, wären nach der Planungssituation Ende 2003 voraussichtlich 29 Arbeitsplätze einzusparen gewesen.

Die Beklagte h...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge