Entscheidungsstichwort (Thema)
außerordentliche Änderungskündigung. ordentliche Unkündbarkeit. Herabgruppierung. Freikündigung
Leitsatz (amtlich)
1. Erforderlich, aber auch ausreichend für eine befristete außerordentliche Änderungskündigung aus wichtigem Grund nach § 55 Abs. 2 Ua. 1 S. 2 BAT ist, dass unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine Weiterbeschäftigung des ordentlich unkündbaren Angestellten zu den bisherigen Vertragsbedingungen zwingend ausgeschlossen ist.
2. Der öffentliche Arbeitgeber muss aber daher vor Ausspruch einer derartigen Änderungskündigung prüfen, ob eine Versetzung auf einen freien, für den Unkündbaren geeigneten, gleichwertigen Arbeitsplatz möglich ist, oder das Freiwerden einer solchen Stelle im Rahmen der normalen Fluktuation absehbar ist und die Stelle wieder besetzt werden soll oder ob eine derartige Stelle durch Umsetzung anderer Arbeitnehmer oder andere Arbeitsverteilung frei gemacht werden kann. Dabei hat der Arbeitgeber seinen gesamten Geschäftsbereich in diese Prüfung einzubeziehen.
3. Der öffentliche Arbeitgeber ist auch verpflichtet, vor Ausspruch einer Kündigung nach § 55 abs. 2 Ua. 1 S. 2 BAT einem kündbaren Arbeitnehmer eine Beendigungskündigung oder eine Änderungskündigung auszusprechen, wenn nur so ein gleichwertiger Arbeitsplatz, den der unkündbare Angestellte ausfüllen kann, freigemacht werden kann. Die Pflicht zur Freikündigung besteht jedoch nicht, wenn zwar ein gleichwertiger Arbeitsplatz vorhanden ist, der mit einem kündbaren Angestellten besetzt ist, der Unkündbare diesen Arbeitsplatz aber nur nach vorheriger Umschulung oder Fortbildung ausfüllen kann. Andernfalls wäre die vom öffentlichen Dienst zu verlangende Effizienz des Verwaltungshandelns gefährdet.
4. Der öffentliche Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, statt Ausspruchs einer Änderungskündigung nach § 55 Abs. 2 Ua. 1 S. 2 BAT für den unkündbaren Angestellten geeignete gleichwertige Stellen zu schaffen oder von der Streichung einer mit einem kw-Vermerk versehen Stelle abzusehen.
5. Der öffentliche Arbeitgeber ist auch nicht verpflichtet, vor Ausspruch einer Kündigung nach § 55 Abs. 2 Ua. 1 S. 2 BAT Beschäftigungsmöglichkeiten bei anderen öffentlichen Arbeitgebern, gegebenenfalls im Wege der Personalgestellung, zu prüfen.
Normenkette
BAT § 55 Abs. 2 Ua. 1 S. 2, § 54 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Lingen (Urteil vom 22.01.2004; Aktenzeichen 1 Ca 218/03) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 22.01.2004 – 1 Ca 218/03 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, betriebsbedingten Änderungskündigung zum Zwecke der Herabgruppierung.
Der Kläger ist niederländischer Staatsbürger. Er ist Diplom-Musikschullehrer. Dieser Abschluss ist in Deutschland als akademischer Abschluss anerkannt. Der Kläger ist 1952 geboren und war seit 01.12.1980 in der von der Beklagten beziehungsweise ihrer Rechtsvorgängerin betriebenen Musikschule beschäftigt, zunächst als (nebenberufliche) Lehrkraft für das Fach Trompete, seit April 1993 als stellvertretender Leiter. Seitdem war die wöchentliche Arbeitszeit auf 36,5 Wochenstunden, davon 23 Unterrichtsstunden, festgesetzt. Nach Ablösung der Leiterin der Musikschule war der Kläger von November 1998 bis zum 30.06.1999 kommissarischer Leiter und Geschäftsführer der Schule. Im Arbeitsvertrag vom 16.07.1985 wurde die Geltung des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) in der jeweils geltenden Fassung vereinbart. Der Kläger erhielt zuletzt eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV b BAT.
Nach jahrelangen Verlusten und vergeblichen Konsolidierungsbemühungen sowie gescheiterten Versuchen zur Privatisierung, deren Einzelheiten sich dem Tatbestand des Urteils des BAG vom 27.06.2002, 2 AZR 367/01 (AP Nr. 4 zu § 55 BAT) entnehmen lassen, beschloss der Rat der Beklagten am 31.01.2000 die Musikschule, deren Schülerzahl von 798 im Jahr 1990 auf zuletzt 488 gesunken war, zum 31.07.2000 zu schließen. Sie kündigte deshalb das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 02.03.2000 außerordentlich mit Auslauffrist bis zum 30.09.2000. Diese Kündigung ist durch das zitierte Urteil des BAG rechtskräftig für unwirksam erklärt worden. Seit dem 01.07.2002 beschäftigt die Beklagte den Kläger im städtischen Verkehrsamt, insbesondere mit der Beratung von Gästen über Fremdenverkehrsangebote der Beklagten und in der Umgebung. Dabei macht sie sich seine niederländischen Sprachkenntnisse zunutze. Als Niederländer ist der Kläger jedoch des Schriftdeutschen nicht in einer Weise mächtig, die ihn zu einer selbständigen Korrespondenz befähigt, so dass er in diesem Tätigkeitsfeld der Beaufsichtigung bedarf. Die seit dem 01.07.2002 ausgeübte Tätigkeit hat allenfalls eine tarifliche Wertigkeit der Vergütungsgruppe VII BAT. Der Kläger wird aus einer im Stellenplan der Beklagten ab dem Jahr 2003 als wegfallend gekennzeichneten und nach...