Entscheidungsstichwort (Thema)

Mutterschutzlohn. Beschäftigungsverbot nach Mutterschutzgesetz. Arbeitsunfähigkeit. Schwangerschaft. Beweislast bei Beschäftigungsverbot

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Anspruch auf Arbeitsentgelt nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG setzt voraus, dass die schwangere Arbeitnehmerin ausschließlich wegen eines Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs. 1 MuSchG mit der Arbeit aussetzt. Für Zeiten, in denen die schwangere Arbeitnehmerin arbeitsunfähig krank ist, besteht dieser alleinige Kausalzusammenhang nicht. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber nach Ablauf des Sechswochenzeitraums nach § 3 EngeltfortzG zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nicht mehr verpflichtet ist.

2. In Fällen sog. Risikoschwangerschaften ist die Abgrenzung zwischen auschließlich Beschäftigungsverbot und Arbeitsunfähigkeit schwierig. Der behandelnde Arzt hat verantwortlich zu entscheiden, ob die nicht normal verlaufende Schwangerschaft einen Krankheitswert hat oder bereits im Vorfeld einer Arbeitsunfähigkeit ein Beschäftigungsverbot zum Schutz des Kindes und der Schwangeren erforderlich ist. Dabei steht dem Arzt ein Beurteilungsspielraum zu.

3. Eine ärztliche Bescheinigung über das Verbot der Beschäftigung hat hohen Beweiswert, kann aber vom Arbeitgeber erschüttert werden, wenn er entweder Umstände vorträgt, dass der Arzt bei der Feststellung des Beschäftigungsverbots für die Beurteilung wesentliche Tatsachen nicht oder fehlerhaft bewertet hat oder, wenn die schwangere Arbeitnehmerin trotz entsprechender Aufforderung des Arbeitgebers keine nachvollziehbare ärztliche Bescheinigung vorlegt, aus der hervorgeht, von welchen Arbeitsbedingungen der Arzt ausgegangen ist und welche Einschränkungen bestehen.

4. Ist der Beweiswert eines ärztlichen Beschäftigungsverbots erschüttert, so hat sich das Gericht die näheren Gründe für ein Beschäftigungsverbot vom Arzt erläutern zu lassen.

 

Normenkette

MuSchG § 3 Abs. 1-2, § 11 Abs. 1; EntgeltfortzG § 3 Abs. 1; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

ArbG Stade (Urteil vom 08.05.2002; Aktenzeichen 2 Ca 68/02)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stade vom 08.05.2002 – 2 Ca 68/02 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Zahlung von Mutterschutzlohn aus übergegangenem Recht. Im Mittelpunkt des Streits steht die Frage, ob die Voraussetzungen eines Beschäftigungsverbots erfüllt sind.

Die Klägerin ist die Krankenversicherung der bei der Beklagten beschäftigen Arbeitnehmerin … W. Frau W. war seit der Feststellung ihrer Schwangerschaft vom 03.11.2000 an arbeitsunfähig krank. Die Arbeitsunfähigkeit ist bis zum 13.03.2001 bescheinigt. Am 13.03.2001 erteilte die behandelnde Frauenärztin, Frau Dipl. Med. …, Frau W. ein Beschäftigungsverbot für die restliche Zeit der Schwangerschaft. Die Bescheinigung hat folgenden Wortlaut:

„Frau W. – ist seit 1985 Patientin in unserer Praxis. Sie befindet sich jetzt in der 22. Schwangerschaftswoche. Vorausgegangen war im letzten Jahr eine Schwangerschaft mit einer Missbildung des Kindes…; deshalb musste in der 18. Schwangerschaftswoche ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden.

Frau W. ist als Verkäuferin beschäftigt. Sie hat jetzt doch eine erhebliche psychosomatische Belastungsreaktion, da auch bei diesem Kind der Verdacht auf eine Fehlbildung bestand. Lange stehen kann ihr nicht mehr zugemutet werden. Ich erteile hiermit Frau W. ein Beschäftigungsverbot für den Rest der Schwangerschaft.”

Am 20.04.2001 gab Frau Dipl. Med. … ergänzend folgende Stellungnahme gegenüber der Beklagten ab:

„Wie im Schreiben vom 13.03.01 bereits mitgeteilt, besteht eine Risikoschwangerschaft bei Frau W. aufgrund einer vorausgegegangenen Schwangerschaft mit Missbildung und einem Zustand nach In-vitro-Fertilisation. Des Weiteren ist es seit Mitte März dazu gekommen, dass eine leichte Wehentätigkeit zu beobachten ist, die zu einer geringen Verkürzung des Muttermundes geführt hat. Deshalb ist eine äußerste Schonung von Frau W. notwendig, damit es nicht zu einer Frühgeburt kommt. Aus diesem Grunde ist auch eine leichte körperliche Betätigung über einen Zeitraum von 8 Stunden Frau W. nicht zuzumuten.

Sollten Sie weiterhin erhebliche rechtliche Zweifel an dem von mir ausgesprochenen Beschäftigungsverbot haben, müssten wir den Medizinischen Dienst einschalten, um hier Klarheit zu schaffen…”

In einem weiteren Schreiben stellte Frau Dipl. Med. … klar:

„Das von mir für Frau W. ausgesprochene Beschäftigungsverbot ist im Sinne des § 3 Abs. 1 Mutterschutzgesetz ausgesprochen. Die von mir weiterhin angeführten psychosomatischen Belastungsreaktionen bestehen zusätzlich. Damit möchte ich noch einmal klarstellen, dass keine Arbeitsunfähigkeit, sondern ein Beschäftigungsverbot … besteht.”

Die Klägerin weigerte sich weiter, das Beschäftigungsverbot anzuerkennen. Frau W. wurde daraufhin beim Medizinischen Dienst vorgestellt, für den der Arzt Dr. med. ...

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