Entscheidungsstichwort (Thema)
Ziel der Norm des § 18 Satz 2 MuSchG. Berechnung des Mutterschutzlohns bei variablen Bezügen. Ärztliches Beschäftigungsverbot und nachträglich fällig werdende Provisionszahlungen
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Berechnung des Mutterschutzlohns nach § 18 Satz 1 MuSchG ist nach § 18 Satz 2 MuSchG grundsätzlich auf das durchschnittliche Arbeitsentgelt der letzten drei abgerechneten Kalendermonaten vor dem Eintritt der Schwangerschaft abzustellen. Dies gilt auch dann, wenn ein Teil der Vergütung variabel ausgestaltet ist und auf provisionspflichtigen Geschäften beruht.
2. Provisionen, die erst während eines ärztlichen Beschäftigungsverbot nach § 16 MuSchG fällig werden, kommen nur dann und nur in dem Umfang zur Auszahlung, wie sie den nach § 18 Satz 2 MuSchG errechneten Mutterschutzlohn übersteigen.
Leitsatz (redaktionell)
§ 18 Satz 2 MuSchG bezweckt, dass Schwangere vor wirtschaftlichen Nachteilen bewahrt werden sollen, die sonst mit einem Beschäftigungsverbot verbunden wären. Die Beschäftigungsverbote sollen zu keiner Verdienstminderung führen, damit jeder finanzielle Anreiz für die Arbeitnehmerin entfällt, die Arbeit zu ihrem und des Kindesnachteils fortzusetzen.
Normenkette
MuSchG § 18 S. 2; RL 92/85/EWG Art. 11 Nr. 2; MuSchG §§ 3, 11 Abs. 1, §§ 16, 20 Abs. 1, § 21; BGB § 611a Abs. 2; AGG §§ 1, 7
Verfahrensgang
ArbG Hildesheim (Entscheidung vom 24.08.2022; Aktenzeichen 2 Ca 27/22) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 24.08.2022 - 2 Ca 27/22 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung während eines ärztlichen Beschäftigungsverbots nach § 16 Abs. 1 MuSchG fällig gewordener Provisionen.
Die Klägerin ist seit dem 01. Februar 2017 als Vertriebsmitarbeiterin für die Beklagte tätig. Sie bezieht ein Fixgehalt von 4.000 € brutto. Für die Privatnutzung des Dienstfahrzeugs werden 328,00 € versteuert. Die Klägerin hat zudem Anspruch auf Zahlung von Provisionen für Software, die sie physiotherapeutischen Praxen veräußert. Der Provisionsanspruch wird mit Installierung und Abnahme der Software beim Kunden fällig, auf den Zeitpunkt des Auftragseingangs kommt es nicht an. Erfolgen Auslieferung oder Abnahme nach dem 10. eines Monats, wird die Provision im folgenden Monat gezahlt.
Die Klägerin war seit April 2021 schwanger, seit dem 8. September 2021 bestand ein ärztliches Beschäftigungsverbot nach § 16 Abs. 1 MuSchG.
Die Beklagte errechnete den Mutterschutzlohn auf Grundlage der in den Monaten Januar, Februar und März 2021 abgerechneten und gezahlten Bruttomonatsentgelte, insgesamt einen der Höhe nach auf dieser Berechnungsgrundlage unstreitigen Betrag von € 7.528,23 einschließlich eines Provisionsanteils von € 3.200,23 brutto.
Mit der Klage begehrt die Klägerin Zahlung weiterer € 444,68 brutto für September 2021, weiterer € 395,40 brutto für Oktober 2021 und weiterer 2.164,50 brutto für November 2021. Diese der Höhe nach unstreitigen Provisionsansprüche beruhen auf Geschäften, die die Klägerin vor Beginn der ärztlichen Beschäftigungsverbote vermittelt hat und die während des ärztlichen Beschäftigungsverbotes fällig geworden sind.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 24. August 2022 abgewiesen unter Hinweis darauf, neben dem in unstreitiger Höhe von der Beklagten nach § 18 MuSchG berechneten Mutterschutzlohn habe die Klägerin keinen Anspruch auf weitere Provisionszahlungen; die in den Monaten September und folgend fällig gewordenen Provisionsbeträge seien auf den Mutterschutzlohn anzurechnen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe wird im Übrigen Bezug genommen.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter. Ihr stehe neben dem Mutterschutzlohn ein Anspruch auf Zahlung der in diesem Zeitraum fällig gewordenen Provisionen zu. Mit der Verrechnung mit der gezahlten Pauschale für Provisionsansprüche werde die Klägerin unter Verstoß gegen §§ 7, 1 AGG benachteiligt; bei männlichen Beschäftigten, die keine Schutzfristen in Anspruch nehmen (könnten), könne ein Verdienstausfall in der Zeit nach Wiederaufnahme der Tätigkeit nach Ablauf der Schutzfristen bis zu neuen Provisionszahlungen nicht entstehen. Dies rechtfertige neben der gezahlten Pauschale auch die kumulative Zahlung der in den Monaten des Beschäftigungsverbotes fällig gewordenen Provisionen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 24.08.2022, Az. 2 Ca 27/22, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Provisionen in Höhe von 3.004,58 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf den sich 444,68 € brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 01.10.2021, auf den sich 395,40 € brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 01.11.2021 sowie auf den sich aus 2.164,50 € brutto ergebenden Nettobetrag seit dem 01.12.2021 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
und vertritt die Auffassung, eine kumulative Auszahlung von pauschal...