Entscheidungsstichwort (Thema)

Überprüfung der jüngsten Befristung im Rahmen einer Befristungskontrollklage. Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrags. Befristungsregelungen durch Tarifvertrag. Grenzen der tariflichen Regelungsbefugnis bei Befristungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei mehreren aufeinander folgenden Befristungsabreden ist grundsätzlich die zeitlich letzte maßgeblich für die Befristungskontrolle. Mit dem vorbehaltlosen Abschluss der entsprechenden Vertragsänderung haben die Parteien zum Ausdruck gebracht, dass fortan nur noch der Arbeitsvertrag in der Ausgestaltung der jüngsten Befristungsabrede für ihre Rechtsbeziehungen maßgeblich sein soll.

2. Bei der Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann.

3. Nach § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG können durch Tarifvertrag nicht nur entweder die Höchstdauer der Befristung oder die Anzahl der Verlängerungen sachgrundlos befristeter Arbeitsverträge, sondern kumulativ beide Vorgaben abweichend von § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG geregelt werden.

4. Die Grenze der tariflichen Regelungsbefugnis wird erst bei der Festlegung der Dauer eines sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags auf maximal sechs Jahre und der höchstens neunmaligen Verlängerung bis zu dieser Gesamtdauer als erreicht angesehen.

 

Normenkette

TzBfG § 14 Abs. 2, § 17 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 24.06.2020; Aktenzeichen 3 Ca 23/20)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 20.07.2022; Aktenzeichen 7 AZR 247/21)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 24.06.2020 (3 Ca 23/20) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Befristung.

Der Kläger trat am 04.09.2017 auf der Grundlage eines zunächst bis zum 31.01.2018 befristeten Arbeitsvertrages (Bl. 9 - 12 d. A.) als Helfer in die Dienste des beklagten Personaldienstleisters. Der vertraglich in Bezug genommene Mantel- und Entgeltrahmentarifvertrag für Zeitarbeit zwischen der Beklagten sowie der IG Metall Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt vom 12.12.2013 (fortan kurz: MERZTV; Bl. 22 - 33 d. A.) regelt unter § 3.1.:

"Grundsatz

Grundsätzlich werden unbefristete Arbeitsverhältnisse abgeschlossen.

Der Abschluss von befristeten Arbeitsverhältnissen ist im Rahmen der gesetzlichen Regelungen und der Grundsätze der Rechtsprechung möglich.

Ein befristetes Arbeitsverhältnis eines bei der V. AG, der V. S. GmbH oder der V. O. GmbH eingesetzten Beschäftigten kann bis zu einer Gesamtdauer von drei Jahren vereinbart und innerhalb dieser Zeitspanne bis zu fünfmal verlängert werden; Voraussetzung ist das Bestehen einer Entgeltaufstockungsvereinbarung zwischen Ent- und Verleiher.

..."

Aufgrund zweier schriftlicher Vertragsänderungen (Bl. 14 und 16 d. A.) verlängerten die Parteien die Befristung zunächst bis zum 30.04.2019.

Die Beklagte setzte den Kläger bis zum 12.03.2019 bei der Fa. C. ein. Für den Einsatz bei diesem Entleiher zahlte sie dem Kläger eine Zulage auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung (Bl. 13 d. A.).

In der Folgezeit arbeitete der Kläger für die Beklagte aufgrund einer schriftlichen Änderungsabrede (Bl. 17 d. A.) bei der V. AG in C-Stadt. Entsprechend einer zeitgleich getroffenen Zusatzvereinbarung (Bl. 18 d. A.) zahlte die Beklagte dem Kläger auch weiterhin eine Zulage, unter deren Berücksichtigung sich nunmehr ein Entgelt gemäß Ziff. 3 des Rahmenvertrags zur Arbeitnehmerüberlassung zwischen der Beklagten und der V. AG (Anlage B8, Bl. 82ff d. A.) in Verbindung mit der Anlage 1 hierzu (Vereinbarung über die Verrechnungssätze für die in Werken der V. AG eingesetzten Zeitarbeitnehmer der Beklagten; Anlage B7, Bl. 79 - 81 d. A.) ergab.

Die Parteien vereinbarten nachfolgend schriftlich (Bl. 20 und 21 d. A.) weitere Verlängerungen des befristeten Arbeitsverhältnisses, zunächst am 25.04.2019 bis zum 30.09.2019 und zuletzt unter dem 05.08./13.09.2019 für die Zeit vom 01.10. bis zum 31.12.2019.

Mit der am 20.01.2020 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Entfristung seines Arbeitsverhältnisses begehrt.

Er hat geltend gemacht, § 3.1 MERZTV stehe der letzten sachgrundlosen Verlängerung seines Arbeitsvertrages entgegen. Die tarifvertraglich erweiterte sachgrundlose Befristungsmöglichkeit werde nur durch eine während der gesamten Befristungsdauer, zumindest aber zeitlich überwiegend gewährte Entgeltaufstockung kompensiert, wie sie tariflich zugunsten der in Werken der V...

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