Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsnormen eines Tarifvertrags i.S.d. § 3 Abs. 2 TVG. Tarifliche Inhaltsnormen gem. § 4 Abs. 1 TVG. Negative tarifliche Inhaltsnormen. Tarifliche Höchstüberlassungsdauer bei Zeitarbeitnehmern als negative tarifliche Inhaltsnorm

 

Leitsatz (amtlich)

Eine tarifvertragliche Bestimmung, die abweichend vom Gesetz (§ 1 Abs. 1b AÜG) die Überlassungshöchstdauer regelt, ist eine Inhalts- und keine Betriebsnorm.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Rechtsnormen eines Tarifvertrags über betriebliche Fragen betreffen Regelungsgegenstände, die nur einheitlich gelten können. Hierunter fallen Fragen, die unmittelbar die Organisation und die Gestaltung des Betriebs, also die Betriebsmittel und die Belegschaft, betreffen. Diese Betriebsnormen regeln normativ das betriebliche Rechtsverhältnis zwischen dem Arbeitgeber und der Belegschaft als Kollektiv.

2. Inhaltsnormen legen im Falle beiderseitiger Tarifgebundenheit die Inhalte des Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer fest. Sie stellen in der Tarifpraxis den Schwerpunkt tariflicher Normen dar und regeln alle mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehenden Fragen.

3. Tarifverträge können auch negative Inhaltsnormen enthalten. Dabei schränken die Tarifvertragsparteien den Arbeitgebern bestimmte Vertragsinhalte hinsichtlich der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen ein.

4. Regelt ein Tarifvertrag unter vollständiger Ausnutzung der Ermächtigung aus § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG, wie lange ein Arbeitnehmer vom Verleiher überlassen werden darf, handelt es sich um eine negative Inhaltsnorm. Denn die tarifvertragliche Regelung soll dem Verleiher Grenzen bei der Ausübung seines Direktionsrechts setzen.

 

Normenkette

AÜG § 1 Abs. 1b S. 3; TVG § 3 Abs. 2; TzBfG § 14 Abs. 2; AÜG § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1; TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Hannover (Entscheidung vom 14.12.2020; Aktenzeichen 2 Ca 124/20)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 05.04.2023; Aktenzeichen 7 AZR 223/22)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 14.12.2020, 2 Ca 124/20, abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristungsabrede im Arbeitsvertrag vom 03.07.2019 zum 31.05.2020 beendet worden ist.

Es wird weiter festgestellt, dass zwischen den Parteien in der Zeit vom 01.11.2018 bis zum 31.08.2019 ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen vertraglichen Bedingungen als Produktionswerker weiter zu beschäftigen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitsvertraglichen Befristung, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über das vereinbarte Befristungsende hinaus, um Weiterbeschäftigung und hilfsweise um einen Anspruch des Klägers auf Abschluss eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen.

Der Kläger, dessen Gewerkschaftsmitgliedschaft zwischen den Parteien streitig ist, war zunächst seit dem 13.09.2016 Arbeitnehmer der Firma A.V. - der Personaldienstleister GmbH & Co. OHG (im Folgenden: A.V.). Dieses Arbeitsverhältnis war befristet und die Parteien vereinbarten mehrere Vertragsverlängerungen bis zum 31.08.2019.

Der schriftliche Arbeitsvertrag des Klägers zu der A.V. enthielt in § 8 folgende Bestimmung:

§ 8

Verweisung auf Tarifrecht/Betriebsvereinbarungen

Auf das Arbeitsverhältnis finden der Mantel- und Entgeltrahmentarifvertrag für Zeitarbeit zwischen einerseits der A.V. Zeitarbeit GmbH & Co. OHG und andererseits der IG Metall und der Entgelttarifvertrag für Zeitarbeit zwischen einerseits der A.V. Zeitarbeit GmbH & Co. OHG und andererseits der IG Metall in ihrer jeweils gültigen Fassung und alle weiteren zukünftigen Tarifverträge in vollem Umfang Anwendung.

Auf das Arbeitsverhältnis sind bestehende Betriebsvereinbarungen anwendbar.

Im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses überließ die Firma A.V. den Kläger durchgängig der Beklagten im Wege der Arbeitnehmerüberlassung. Arbeitsort war durchgängig der Betrieb der Beklagten in A-Stadt-S..

Die Beklagte, die A.V. und die IG Metall schlossen unter dem 05.12.2013 einen Tarifvertrag über die Vergütung und Einsatzbedingungen von Zeitarbeitnehmern, welcher u. a. abweichend vom Gesetz die Einsatzmöglichkeit von Zeitarbeitnehmern für die Dauer von 36 Monaten vorsieht. Wegen der genauen Einzelheiten dieses Tarifvertrages (im Folgenden: TV VEZ) wird auf den vorgelegten Tarifvertrag, Bl. 70 ff. d. A., Bezug genommen.

Der Kläger schloss sodann mit der Beklagten einen befristeten Arbeitsvertrag vom 03.07.2019 und war aufgrund dessen seit dem 01.09.2019 als Produktionshelfer in ihrem Betrieb in A-Stadt-S. tätig.

Dieser Vertrag sah als Befristungsende den 31.05.2020 vor. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die zwischen der Beklagten und der IG Metall Bezirksleitung Niedersachsen un...

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