Entscheidungsstichwort (Thema)
Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Darlegungs- und Beweislast nach Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Koinzidenz des Beginns der Arbeitsunfähigkeit mit einer Bescheinigung bis zum Ende der Vertragsbefristung
Leitsatz (amtlich)
In einem befristeten Arbeitsverhältnis kann der Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen unter Umständen dadurch erschüttert sein, dass diese sich durchgängig (nahezu) genau über die letzten sechs Wochen vor dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses erstrecken (hier: verneint).
Leitsatz (redaktionell)
1. Einer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu, den der Arbeitgeber nur erschüttern kann, wenn er begründete Zweifel an der Richtigkeit der ausgestellten Bescheinigung darlegen und im Bestreitensfall beweisen kann.
2. Gelingt dem Arbeitgeber die Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ist es Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Hierzu ist substantiierter Vortrag z.B. dazu erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden.
3. Gibt es eine zeitliche Koinzidenz des Beginns der Arbeitsunfähigkeit mit einer Eigenkündigung, möglicherweise auch einer Arbeitgeberkündigung oder auch mit dem Sechswochenzeitraum, der vor einem vertraglich vereinbarten Befristungsende liegt, kann der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sein.
Normenkette
EFZG §§ 3, 5 Abs. 1, § 7 Abs. 1; SGB V § 275 Abs. 1a
Verfahrensgang
ArbG Hameln (Entscheidung vom 17.08.2022; Aktenzeichen 3 Ca 43/22) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 17.08.2022 - 3 Ca 43/22 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlungsansprüche im Krankheitsfall.
Die Klägerin war als Pflegefachkraft befristet bis zum 00.00.2021 bei der Beklagten tätig. Am 00.00.2021 meldete sich die Klägerin krank und reichte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Erstbescheinigung) der Fachärzte für Allgemein Medizin W. bei der Beklagten ein (vgl. Bl. 38 d. A.), wonach eine voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 00.00.2021 bescheinigt wurde. Mit Folgebescheinigung vom 00.00.2021, eingegangen bei der Beklagten am 00.00.2021, reichte die Klägerin eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung derselben Ärzte bis voraussichtlich einschließlich 00.00.2021 ein. Mit Folgebescheinigung vom 00.00.2021 (vgl. Bl. 40 d. A.), bei der Beklagten eingegangen am 00.00.2021, bescheinigten dieselben behandelnden Ärzte eine Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 00.00.2021.
Am 00. und 00.00.2021 (Wochenende) war die Klägerin nicht zu einem Dienst eingeplant. Am 00.00.2021 erhielt die Klägerin einen Ausgleichstag für Wochenenddienste. Dies ergab sich aus dem Dienstplan für September 2021, der bereits Anfang August 2021 veröffentlicht wurde.
Am 00.00.2021 baute die Klägerin Mehrstunden ab. Die Beklagte zahlte für den Monat August 2021 das gesamte vertraglich vereinbarte Gehalt, davon einen Teil für die bis zum 00.00.2021 erbrachte Arbeitsleistung und den anderen Teil als Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Für den Monat September 2021 leistete die Beklagte keine Zahlungen mehr.
Die Klägerin verlangte zunächst außergerichtlich Zahlung für die Zeit vom 00.00. bis 00.00.2021. Mit Mail vom 00.00.2021 (vgl. Bl. 5 f. d.A.) lehnte die Beklagte entsprechende Zahlungen an die Klägerin ab. Zwar stünden der Klägerin bis 00.00. grundsätzlich eine Regelvergütung von 2.182,99 € brutto, eine Vergütung für 78,35 Mehrarbeitsstunden in Höhe von 1.331,17 € brutto und eine Urlaubsabgeltung für vier Tage von 523,20 € brutto zu. Die Beklagte bezweifele jedoch, dass die Klägerin tatsächlich ab dem 00.00.2021 krank gewesen sei.
Tatsächlich leistete die Beklagte im Monat September 2021 insgesamt nur 181,10 € brutto an die Klägerin (vgl. Bl. 10 d. A.).
Vor Ablauf der Befristung hatte die Pflegedienstleiterin der Beklagten, Frau D., Kontakt mit der Klägerin aufgenommen, um eine Vertragsverlängerung zu sprechen. Bis einschließlich 00.00.2021 stand die Klägerin auch in Kontakt mit der Pflegedienstleiterin. Diese teilte der Klägerin in einer Nachricht am 00.00.2021 mit, dass ein neuer Vertrag zur Unterschrift bereitliege. Darauf ging die Klägerin allerdings nicht mehr ein.
Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgebracht, ihr stünden die gesamten 2.182,99 € brutto "Regelvergütung" für September bis einschließlich 00.00.2021 als Entgeltfortzahlung zu, da sie arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei bis einschließlich 00.00.2021, unstreitig am Wochenende 00. und 00.00.2021 nicht habe arbeiten müssen und am 00. und 00. nicht zur Arbeit eingeteilt gewesen sei.
Des Weiteren stehe ...