Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachwirkung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG beschränkt sich darauf, bis zum Abschluss einer anderen Abmachung den materiell-rechtlichen Zustand für das Arbeitsverhältnis beizubehalten, der beim Eintritt der Nachwirkung bestanden hat. Das gilt auch dann, wenn die nachwirkende Tarifnorm auf eine fremde Tarifnorm verweist, die während der Zeit der Nachwirkung inhaltlich geändert wird. An künftigen Änderungen der in Bezug genommenen Regelung nimmt die nur noch nachwirkende Tarifbestimmung nicht mehr teil. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der nachwirkende Tarifvertrag quasi als Blankettverweisung auf einen anderen Tarifvertrag verweist, der später geändert wird, oder ob nur einzelne Bestandteile eines Tarifvertrages – z.B. die Höhe des Tarifentgelts – in Bezug genommen werden.

 

Normenkette

TVG § 4 Abs. 5

 

Verfahrensgang

ArbG Osnabrück (Urteil vom 18.07.2002; Aktenzeichen 2 Ca 253/02)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 10.03.2004; Aktenzeichen 4 AZR 140/03)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 18.07.2002 – 2 Ca 253/02 – abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Frage, ob die für das Jahr 2001 zu zahlende Sonderzuwendung auf der Grundlage des am 30.09.2001 oder des am 30.09.1999 maßgeblichen Tarifentgelts zu berechnen ist.

Die Klägerin ist seit mehreren Jahren bei der Beklagten als Verkäuferin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit 22,5 Stunden beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge im niedersächsischen Einzelhandel Anwendung. Der Tarifvertrag über Urlaubsgeld, Sonderzuwendung und Entgeltfortzahlung enthält in § 9 für die Sonderzuwendung folgende Regelung:

Höhe der Sonderzuwendung

„Die tarifliche Sonderzuwendung beträgt 60 % des für den Beschäftigten am 30. September, bzw. bei früherem Ausscheiden, dem Monat vor seinem Austritt, geltenden Tarifentgelts gemäß Gehalts- und Lohntarifvertrag”.

Dieser Tarifvertrag wurde zum 31.12.1999 gekündigt, einen Folgetarifvertrag haben die Tarifvertragsparteien bisher nicht abgeschlossen. Im Jahr 2001 rechnete die Beklagte mit der Abrechnung für den Monat November die tarifliche Sonderzahlung ab, wobei sie das im Jahr 1999 maßgebliche Tarifentgelt zugrunde legte.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, bei der Berechnung der Sonderzuwendung 2001 sei das in diesem Kalenderjahr zu zahlende Tarifentgelt maßgeblich. Zwar befinde sich der verweisende Tarifvertrag in der Nachwirkung. Die nachwirkenden Tarifansprüche änderten sich aber mit den Veränderungen der für die Höhe eines tariflichen Anspruchs maßgeblichen tariflich geregelten Rechnungsgrößen, auf die verwiesen sei. In diesen Fällen hätten die Tarifvertragsparteien selbst eine vollständige normative Regelung getroffen, die als solche komplett nachwirke und nicht etwa infolge der Nachwirkung „eingefroren” werde. Wegen der Berechnung der Klageforderung wird auf die Ausführungen in der Klageschrift Bezug genommen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 30,99 EUR nebst 5 % Zinsen über den Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, aufgrund der Nachwirkungsregelung gemäß § 4 Abs. 5 TVG werde die tarifliche Sonderzuwendung auf dem Status quo des Jahres 1999 „eingefroren”. Änderungen der in Bezug genommenen Tarifnormen könnten nicht mehr auf den verweisenden Tarifvertrag einwirken.

Durch Urteil vom 18.07.2002 hat das Arbeitsgericht Osnabrück dem Klagebegehren entsprochen, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt, den Streitwert auf 30,99 EUR festgesetzt und die Berufung zugelassen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils (Bl. 61/62 d.A.) Bezug genommen. Das Urteil ist der Beklagten am 26.07.2002 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 23.08.2002 Berufung eingelegt und diese am 16.09.2002 begründet.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Nachwirkung einer Tarifregelung beschränke sich gemäß § 4 Abs. 5 TVG inhaltlich darauf, dass der Zustand erhalten bleibe, der bei Beendigung des Tarifvertrages bestanden habe. Das gelte auch, wenn der nachwirkende Tarifvertrag dynamisch auf eine andere Regelung verweise und diese während der Nachwirkung inhaltlich verändert werde. Dieses Einfrieren der bei der Kündigung des Tarifvertrages bestehenden Situation entspreche der Überbrückungsfunktion der Nachwirkung.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 18.07.2002 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die Tarifvertragsparteien hätten in § 9 des einschlägigen Tarifvertrages für die Berechnung des Weihnachtsgeldes das jeweilige Septembergehalt des laufenden Jahres zugrunde gelegt. Folglich sei auch auf die jeweilige Höhe des Septembergehaltes abzuste...

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