Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung im Ausildungsverhältnis wegen sexueller Belästigung einer Auszubildenden desselben Unternehmens außerhalb der Arbeitszeit

 

Leitsatz (amtlich)

Der Arbeitnehmer ist auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Ein außerdienstliches Verhalten beeinträchtigt die berechtigten Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer, wenn es einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat. Das ist der Fall, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat. Die einmalige sexuelle Belästigung einer Auszubildenden durch einen Auszubildenden aus dem gleichen Betrieb außerhalb der Arbeitszeit kann einen wichtigen Grund zur Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG darstellen.

 

Normenkette

AGG § 3 Abs. 4, § 7 Abs. 3, § 12 Abs. 1-2; BGB § 626 Abs. 1; BBiG § 22 Abs. 2 Nr. 1; BGB § 626

 

Verfahrensgang

ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 18.04.2023; Aktenzeichen 6 Ca 186/22)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes vom 18. April 2023 - 6 Ca 186/22 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.741,-Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Bestand ihres Ausbildungsverhältnisses.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Automobilindustrie.

Der 1996 geborene Kläger war seit dem 1. September 2020 als Auszubildender zum Elektroniker für Automatisierungstechnik in dem Betrieb der Beklagten zu einer Ausbildungsvergütung in Höhe von 1.247,00 € brutto beschäftigt. In dem Betrieb ist ein Betriebsrat gebildet.

Bei der Beklagten gilt seit dem 1. August 1977 eine Arbeitsordnung in Form einer Betriebsvereinbarung, welche unter "§ 4 Beendigung des Arbeitsverhältnisses" eine Störung des Arbeits- oder Betriebsfriedens als möglichen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung benennt. § 22 der Arbeitsordnung verpflichtet alle Werksangehörigen zur Einhaltung des Arbeitsfriedens (Bl. 69 ff. d. A.).

Ferner verpflichtet ein bei der Beklagten geltender "Code of Conduct" (Bl. 71 ff. d. A.) alle Mitarbeiter, jede Art von Diskriminierung (z. B. durch Benachteiligung, Belästigung, Mobbing) zu unterlassen und ein respektvolles partnerschaftliches Miteinander zu ermöglichen.

Die Betriebsvereinbarung 1/07 mit dem Titel "Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz" mit Gültigkeit ab dem 1. Januar 2007 erklärt in der Präambel jede Art von Diskriminierung beispielsweise in Form der sexuellen Belästigung für nicht statthaft. Der Begriff der sexuellen Belästigung wird unter Ziffer 2. sodann wie folgt näher definiert: "Sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen. Was als sexuelle Belästigung empfunden wird, ist durch das subjektive Empfinden des Betroffenen bestimmt."

Diese betrieblichen Regelungen sind im Intranet für alle Beschäftigten der Beklagten frei zugänglich und damit jederzeit einsehbar.

Der Kläger nahm im Rahmen von Bildungsurlaub als einer von 22 Auszubildenden an einem sogenannten Jugend-1-Seminar der IG Metall in der Seminareinrichtung in der Zeit vom 3. Juli bis 8. Juli 2022 teil. Die einzige weibliche Teilnehmerin an diesem Seminar war die Zeugin K.. Die Zeugin K. war wie weitere Teilnehmer des Seminars ebenfalls Auszubildende der Beklagten in deren Werk und zum damaligen Zeitpunkt 19 Jahre alt. Der Kläger und die Zeugin K. kannten sich vor dem Seminar nicht.

Am Abend des 3. Juli 2022 hielt sich eine Gruppe der Teilnehmer des Seminars, unter anderem der Kläger, in dem Zimmer der Zeugin K. auf. Die Gruppe beschloss, noch auszugehen/zu einem Volksfest zu gehen, um etwas zu trinken. Nachdem die Zeugin K. die Toilette aufgesucht hatte, befand sich nur noch der Kläger in ihrem Zimmer. Weitere Einzelheiten in diesem Zusammenhang sind zwischen den Parteien streitig.

Am späten Abend des 4. Juli 2022 suchten mehrere Auszubildende das Schwimmbad, das sich auf dem Seminargelände befindet, auf. Das weitere Geschehen ist zwischen den Parteien streitig.

Mit Schreiben vom 5. September 2022, dem Kläger am selben Tag zugegangen, erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger die fristlose Kündigung des Ausbildungsverhältnisses. Mit seiner am 15. September 2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wehrt sich der Kläger gegen diese Kündigung.

Ein Anfang Oktober 2022 durchgeführtes Schlichtungsverfahren blieb ohne Ergebnis.

Wegen des unstreitigen Sachverhaltes, der streitigen erstinstanzlichen Behauptungen, der konträren Rechtsauffassungen, der geltend gemachten Ansprüche sowie des gesamten erstinstanzlichen Sachverhaltes im Übrigen wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils, S. 2 - 4 desselben, Bl. 172 - 174 R. d. A., Bezug genommen.

Mit Urteil vom 18. April 2023 hat das Arbeitsgericht die Klage ab...

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