Entscheidungsstichwort (Thema)
Negative Zukunftsprognose. Krankheitsbedingte Kündigung. Bestandsstreitigkeit. Kündigung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des bereits mehrere Monate an einem Wirbelsäulenleiden erkrankten, nicht schwerbehinderten Arbeitnehmers ist ungewiss, wenn dieser auf Anfrage des Arbeitgebers zum einen mitteilt bei nicht leidensgerechter Umgestaltung seines Arbeitsplatzes werde er wieder arbeitsunfähig erkranken und zum anderen ausführt, er wolle den bisher ausgeübten Beruf als Dreher (Zerspannungstechniker) zukünftig nicht ausüben, da er dazu körperlich nicht mehr in der Lage sei.
2. Vor Inkrafttreten des § 84 Abs. 2 SGB IX zum 1. Mai 2004 gab es für nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer nach krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit keinen Anspruch auf leidensgerechte Umgestaltung des Arbeitsplatzes (vgl. § 81 Abs. 4 Nr. 4, 5 SGB IX) oder Präventionsmaßnahmen i. S. v. § 84 Abs. 2 SGB IX, die einer personenbedingten Kündigung vorauszugehen hatten.
Normenkette
KSchG § 1; SGB IX § 81 Abs. 4, § 84 Abs. 2, § 93; ZPO § 138 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Hildesheim (Urteil vom 20.07.2004; Aktenzeichen 1 Ca 6/04) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 20. Juli 2004 – 1 Ca 6/04 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die personenbedingte ordentliche Kündigung der Beklagten vom 15. Dezember 2003 das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31. Januar 2004 sozial gerechtfertigt aufgelöst hat.
Der 1975 geborene Kläger ist bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängern seit dem 1. August 1993 zunächst zum Zerspannungstechniker (Dreher) ausgebildet und danach als solcher beschäftigt worden. Seit dem 27. Januar 2003 war der Kläger wegen einer Wirbelsäulenerkrankung über den Ausspruch der Kündigung hinaus arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte erhielt mit Schreiben vom 7. Mai 2003 dazu folgende Mitteilung der Krankenkasse (Bl. 42 d. A.):
„Aus uns vorliegenden ärztlichen Unterlagen geht hervor, dass Herr W… nur noch Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, ohne regelmäßiges schweres Heben und Tragen und Arbeiten in einseitiger Zwangshaltung durchführen kann.
Sofern der jetzige Arbeitsplatz nicht diesen Anforderungen entspricht, bitten wir um Prüfung und Mitteilung, ob ein entsprechender Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden kann.
Darüber hinaus gibt es ggf. weitere Möglichkeiten der beruflichen Rehabilitation, die wir unter Einbeziehung des beruflichen Rehabilitationsträgers (z. B. Rentenversicherung) gern mit ihnen besprechen würden.”
Die Beklagte wandte sich unter dem 28. November 2003 an den Kläger und schrieb ihm folgendes (Bl. 44 d. A.):
„Sie sind nunmehr seit dem 27. Januar 2003 arbeitsunfähig krank. In der Hoffnung auf eine baldige Genesung haben wir bis heute Ihren Arbeitsplatz freigehalten. Dieses können wir aus produktionstechnischen Gründen nun nicht mehr weiter aufrechterhalten. Bitte setzen Sie sich mit unserem Betriebsleiter Herrn A…, zumindest telefonisch, in Verbindung um die weitere Vorgehensweise zu erörtern.”
Wenige Tage später kam es auf Initiative der Beklagten zu einem Telefonat zwischen dem Kläger und dem Betriebsleiter der Beklagten, den Zeugen A…, dessen Inhalt im Einzelnen streitig ist. Mit Anhörungsbogen vom 9. Dezember 2003 wurde der Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung des Klägers angehört. Im Anhörungsbogen (Bl. 45 d. A.) heißt es:
„Herr W… ist seit dem 27.01.2003 arbeitsunfähig krank. Nach eigenen Aussagen ist er nicht mehr fähig und gewillt, seinen Beruf als Dreher auszuüben. Ein anderer Arbeitsplatz steht in unserem Unternehmen für ihn nicht zur Verfügung.”
Der Betriebsrat entschied in seiner Sitzung vom 11. Dezember 2003, dass er keine Stellungnahme gegenüber dem Arbeitgeber abgeben wolle. Der Betriebsratsvorsitzende teilte noch am selben Tag gegenüber dem Betriebsleiter A… mit, dass kein Einspruch erhoben werde und der Betriebsrat sich abschließend mit der Kündigungsangelegenheit des Klägers befasst habe. Daraufhin wurde die Kündigung vom 15. Dezember 2003 (Bl. 9 d. A.) gefertigt und noch am selben Tag dem Kläger durch Einwurf in den Briefkasten zugestellt. Der Kläger ist seit dem 1. Oktober 2004 selbständig tätig und betreibt einen Fahrzeugteilehandel.
Die Parteien führen den Rechtsstreit im Wesentlichen darüber, ob die zur Arbeitsunfähigkeit führende Wirbelsäulenerkrankung des Klägers Folge eines nicht vorschriftsmäßig ausgestatteten Arbeitsplatzes war und ob die Beklagte nicht verpflichtet ist, nach entsprechender Umgestaltung des Arbeitsplatzes die Wiederaufnahme der Arbeit für den Kläger zu ermöglichen. Der Kläger hat in der Sitzung des Arbeitsgerichts vom 20. Juli 2004 die ihn behandelnden Ärzte Dr. G… und Dr. D… von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden.
Das Arbeitsgericht Hildesheim hat mit Urteil vom 20. Juli 2004 die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es u. a. ausgeführt, dass der Kläger ...