Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfähigkeit. Bezug von Erwerbsunfähigkeitsrente. Urlaubsabgeltung. Zahlungsklage. Urlaubsabgeltung einer seit 09.08.2007 arbeitsunfähigen AN, die seit 01.03.2008 EU-Rente bezieht. Urlaubsabgeltung bei durchgängiger Arbeitsunfähigkeit. europarechtskonforme Begrenzung des Übertragungszeitraums des Urlaubsanspruchs. Urlaubsanspruch bei dauerhaftem Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente im ruhenden Arbeitsverhältnis
Leitsatz (amtlich)
1. Eine europarechtskonforme Anwendung des § 7 Abs. 3 BUrlG führt zu dem Ergebnis, dass der Übertragungszeitraum auf 15 Monate nach Ablauf des Bezugszeitraums zu begrenzen ist.
2. Der Urlaubsanspruch der Klägerin ist entstanden, obwohl sie während der Jahre 2009 und 2010 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war.
3. Weder der Bezug von Krankengeld durch die Krankenversicherung noch der Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente durch die Rentenversicherung noch der Bezug von Arbeitslosengeld durch die Arbeitslosenversicherung im Wege der so genannten Gleichwohl-Gewährung hat Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis und den Grundsatz, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auch bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit entsteht.
4. Für eine Einschränkung des Urlaubsanspruchs bei dem dauerhaften Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente fehlt es an einer gesetzlichen Rechtsgrundlage. Weder das Bundesurlaubsgesetz noch die EG-Richtlinien sehen vor, dass ein Urlaubsanspruch bei dem Bezug von Erwerbsunfähigkeitsrente auf Dauer nicht entsteht. Ohne entsprechende gesetzliche, tarifvertragliche oder arbeitsvertragliche Regelung ist eine Kürzung des Urlaubsanspruchs nicht möglich.
5. Bei einem ruhenden Arbeitsverhältnis entsteht ein Urlaubsanspruch jedenfalls dann, wenn das Ruhen des Arbeitsverhältnisses letztlich darauf zurückzuführen ist, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt war.
Normenkette
BUrlG § 7; SGB III § 125; BUrlG § 7 Abs. 3-4; Richtlinie 88/2003/EG Art. 7 Abs. 1 Fassung: 2003-11-04
Verfahrensgang
ArbG Verden (Aller) (Entscheidung vom 29.03.2011; Aktenzeichen 3 Ca 31/10) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Verden vom 29.03.2011, 3 Ca 31/10, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.495,03 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.01.2011 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 38 % und die Beklagte zu 62 %.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin für die Jahre 2007 bis 2010 ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung zusteht, obwohl sie seit dem 09.08.2007 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war und seit 01.03.2008 Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen hat.
Die am 0.0.1952 geborene Klägerin war seit dem 01.01.1995 bei der Beklagten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 22,50 Stunden bei einem Stundenlohn von 8,53 € brutto beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer Kündigung der Klägerin vom 19.11.2010 (Bl. 25 d.A.) am 15.01.2011.
Die Klägerin war seit dem 09.08.2007 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt. Auf ihren Antrag wurde ihr zunächst ab 01.03.2008 befristet bis zum 28.02.2010 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gezahlt (Bl. 67 d.A.). Diese Rente wird ihr gemäß Bescheid vom 12.03.2008 dauerhaft bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze am 30.06.2018 weiter gewährt.
Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existiert nicht. Nach den von den Parteien getroffenen Vereinbarungen stand der Klägerin ein jährlicher Urlaubsanspruch von 30 Tagen zu. Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin Urlaubsabgeltung für restliche 20 Urlaubstage aus dem Jahr 2007 und jeweils 30 Urlaubstage für die Jahre 2008, 2009 und 2010 geltend.
Das Arbeitsgericht hat durch ein der Beklagten am 13.04.2011 zugestelltes Urteil vom 29.03.2011, auf dessen Inhalt zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 38 - 42 d.A.), die Beklagte dazu verurteilt, an die Klägerin 4.222,35 € brutto nebst Zinsen zu zahlen.
Hiergegen richtet sich die am 10.05.2011 eingelegte und am 09.06.2011 begründete Berufung der Beklagten.
Die Beklagte ist der Auffassung, der Klägerin stehe ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht zu. Aufgrund der Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung habe das Arbeitsverhältnis geruht. Während dieser Zeit habe die Klägerin keine weiteren Urlaubsansprüche erwerben können, da die beiderseitigen Leistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert gewesen seien.
Gegen das Entstehen von Urlaubsansprüchen spreche zudem der Sinn und Zweck der Gewährung von Urlaub. Während des Bezugs von Erwerbsunfähigkeitsrente müsse dem Arbeitnehmer nicht die Gelegenheit zur selbstbestimmten Erholung gegeben werden.
Es könnte allenfalls ein Urlaubsabgeltungsanspruch für restliche Urlaubsansprü...