Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialplanabfindung. Altersdiskriminierung. Verteilungsgerechtigkeit. Stichtagsregelung. keine unzulässige Altersdiskriminierung, wenn rentennahe Arbeitnehmer lediglich einen Mindestbetrag als Sozialplanabfindung erhalten
Leitsatz (amtlich)
1. § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG verstößt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, von der abzuweichen kein Anlass besteht, nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung im Recht der Europäischen Union.
2. Der konkrete Sozialplan ist an dem Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu prüfen und muss den gesetzlichen und unionsrechtlichen Anforderungen entsprechen.
3. Nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dient der Sozialplan dem Ausgleich oder der Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen. Die Entscheidung, den rentennahen Arbeitnehmern lediglich einen gewissen Ausgleich für eine eintretende Minderung zu gewähren, ist unter Berücksichtigung der Verteilungsgerechtigkeit nicht zu beanstanden.
4. Der den Betriebsparteien zustehende Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum schließt eine Typisierung und Pauschalierung ein, eine Stichtagsregelung ist deshalb zulässig.
Normenkette
AGG § 10 S. 3 Nr. 6; BetrVG § 112
Verfahrensgang
ArbG Göttingen (Urteil vom 09.02.2011; Aktenzeichen 4 Ca 363/10) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 09.02.2011, 4 Ca 363/10, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der dem Kläger zustehenden Sozialplanabfindung und dabei insbesondere über die Frage, ob der Kläger durch die Sozialplanregelung aufgrund seines Alters unangemessen benachteiligt wird.
Der am 0.0.1946 geborene Kläger war seit dem 01.01.1987 bei der Beklagten als Pharmareferent im Außendienst beschäftigt und bezog zuletzt eine durchschnittliche monatliche Bruttovergütung von 5.325,00 EUR. Die Beklagte ist Herstellerin von Generika und beschäftigte ursprünglich 171 Arbeitnehmer, davon 88 im Außendienst.
Die Beklagte vereinbarte am 19.06.2009 mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan (Bl. 27-33 d.A.), der die Einstellung des Außendienstes zum 01.07.2009 und betriebsbedingte Kündigungen der in der Anlage genannten 88 Arbeitnehmer, darunter der Kläger, vorsah. Der Sozialplan enthält dabei unter B II u.a. folgende Regelungen:
II. Höhe der Abfindung
1. Jeder nach den Kriterien dieses Sozialplans anspruchsberechtigte Arbeitnehmer erhält einen Betrag, der sich nach folgender Formel errechnet:
Bruttomonatsvergütung × Betriebszugehörigkeit × Faktor aus nachstehender Tabelle
Alter |
Faktor |
30-39 |
0,7 |
40-45 |
0,8 |
46-50 |
0,9 |
51-59 |
1,0 |
60-62 |
0,3 |
≫ 62 |
0 |
5. Mindest- und Höchstbetrag der Abfindung
Die Abfindung beträgt mindestens 2 Bruttomonatsgehälter.
Die Höhe der Abfindung ist begrenzt auf höchstens 200.000,– EUR brutto.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger durch Schreiben vom 23.06.2009 zum 31.01.2010. Die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage wurde rechtskräftig abgewiesen (Urteil des LAG Niedersachsen vom 15.07.2010, 7 Sa 123/10).
Die Beklagte zahlte an den Kläger eine Sozialplanabfindung in Höhe des Betrages von 2 Monatseinkommen, was einem Betrag von insgesamt 10.650,00 EUR entspricht. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger eine Abfindung nach dem Sozialplan in Höhe von weiteren 112.251,00 EUR. Er legt bei seiner Berechnung den in dem Sozialplan für die Gruppe der 51- bis 59-jährigen Arbeitnehmer maßgeblichen Multiplikationsfaktor von 1,0 zu Grunde.
Das Arbeitsgericht hat durch ein dem Kläger am 15.02.2011 zugestelltes Urteil vom 09.02.2011, auf dessen Inhalt zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 41 – 46 d.A.), die Klage abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die am 08.03.2011 eingelegte und gleichzeitig begründete Berufung des Klägers.
Der Kläger ist der Auffassung, dass die Regelung in dem Sozialplan einen Rechtsverstoß der europarechtlichen untersagten Altersdiskriminierung darstelle. Nicht berücksichtigt werde, dass mit einer Abfindung von 2 Bruttomonatsentgelten nicht derjenige Verlust ausgeglichen werden könne, den er erleide, weil er über ein Jahr hinweg Arbeitslosengeld beziehen müsse. Zudem trete bei ihm infolge der Arbeitslosigkeit vor Rentenbeginn ein Rentenverlust ein.
Ferner bestehe ein krasses Missverhältnis im Verhältnis zu den Mitarbeitern, die knapp unter 60 Jahre alt seien und eine Abfindung bis zu 200.000,00 EUR erhalten könnten. Es sei nicht erkennbar, weshalb die drastische Kürzung der Sozialplanabfindung der über 62 Jahre alten Arbeitnehmer angemessen und erforderlich sei.
Ein grobes Missverhältnis liege auch vor im Verhältnis zu den Mitarbeitern, die in unmittelbarem Anschluss an das bestehende Arbeitsverhältnis eine Neueinstellung gefunden hät...