Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein besonderes Verhandlungsgremium bei arbeitnehmerloser Societas Europaea (SE). Mitbestimmungsfreie Übernahme einer Komplementärstellung durch arbeitnehmerlose SE. Mitbestimmungsfreie Gründung einer SE
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der arbeitnehmerlosen SE muss auch dann kein besonderes Verhandlungsgremium eingesetzt werden, wenn diese die Aufgabe als Komplementär einer KG mit mehr als 2.000 Beschäftigten übernimmt.
2. Dies gilt auch dann, wenn die SE eine Verwaltungs-GmbH als Komplementärin abgelöst hat, in der kein Aufsichtsrat eingerichtet war. Der Gesetzgeber hat eine dem § 4 I MitbestG vergleichbare Vorschrift für die SE nicht geschaffen.
Leitsatz (redaktionell)
Das SEBG regelt das Beteiligungsverfahren bei der Gründung einer SE. Die dafür in § 5 Abs. 1 SEBG geregelten 10 %-Quoten implizieren, dass mindestens zehn Arbeitnehmer vorhanden sein müssen. Wenn die SE nicht mindestens zehn Arbeitnehmer beschäftigt, ist ihre Gründung somit mitbestimmungsfrei.
Normenkette
SEBG §§ 2, 4, 18 Abs. 3; EG-RL 86/2001 Art. 3 Abs. 2, Art. 11, 13 Abs. 2; Richtlinie 94/45/EG Art. 2-7; EBRG § 6 Abs. 2; MitbestG §§ 1, 4; SEBG § 1 Abs. 3, § 2 Abs. 2, § 5 Abs. 1; SE-VO Art. 2 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Bamberg (Entscheidung vom 08.09.2021; Aktenzeichen 4 BV 31/20) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) und zu 3) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bamberg - Kammer Coburg - vom 08.09.2021, Az.: 4 BV 31/20, abgeändert.
2. Der Antrag wird zurückgewiesen.
3. Die Rechtsbeschwerde zum BAG wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Durchführung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens nach dem SE-Beteiligungsgesetz (SEBG).
Der Antragsteller ist der bei der Beteiligten zu 3) gebildete Betriebsrat. Die Beteiligte zu 3) - im Folgenden auch: KG - betreibt einen Betrieb der Automobilzulieferindustrie und beschäftigt dort mehr als 2.000 Arbeitnehmer. Ihre persönlich haftende Gesellschafterin ist seit dem 01.01.2020 die Beteiligte zu 2), im Folgenden auch: SE. Sie beschäftigt keine Arbeitnehmer. Zuvor war persönlich haftende Gesellschafterin der Beteiligten zu 3) die B... Verwaltungsgesellschaft mbH, C.... Die Beteiligte zu 2) wurde am 11.04.2019 als Tochter-SE der B...start Gründungs SE in M... gegründet und am 23.04.2019 als "Bl... xx-xxx SE" in das Handelsregister eingetragen. Nach Umfirmierung und Sitzverlegung nach C... wurde die SE unter ihrer jetzigen Bezeichnung am 09.10.2019 in das Handelsregister beim AG C... eingetragen. Ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren fand bislang nicht statt. Vor der Übernahme der Komplementärstellung bei der Beteiligten zu 3) durch die Beteiligte zu 2) beantragte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 19.12.2019 beim Landgericht Nürnberg-Fürth die Feststellung, dass bei der damaligen Komplementärin der Beteiligten zu 3), der B... Verwaltungsgesellschaft mbH, C..., ein Aufsichtsrat zu bilden sei. Dieser Antrag wurde mit Beschluss vom 19.11.2020 unter Hinweis auf das zwischenzeitliche Ausscheiden der GmbH als Komplementärin der Beteiligten zu 3) abgelehnt. Mit Schreiben vom 04.06.2020 forderte der Antragsteller die Beteiligte zu 2) auf, ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren nach dem SEBG einzuleiten. Dies wies die Beteiligte zu 2) unter Hinweis auf ihre Arbeitnehmerlosigkeit mit Schreiben vom 22.06.2020 zurück. Am 26.11.2020 beschloss der Antragsteller die Einleitung des vorliegenden Verfahrens.
Hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten vor dem Arbeitsgericht und der gestellten Anträge wird auf die tatbestandlichen Feststellungen der erstinstanzlichen Entscheidung verwiesen.
Mit Beschluss vom 08.09.2021 hat das Arbeitsgericht Bamberg - Kammer Coburg - dem zuletzt gestellten Antrag des Antragstellers stattgegeben. Es hat diesen Antrag für bestimmt genug und vollstreckungsfähig erachtet. Es war der Ansicht, dass nach dem Willen des Gesetzgebers im Rahmen der Gründung einer SE ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren stattzufinden habe. Sei ein solches zunächst nicht möglich bzw. werde bei der Eintragung, ob zu Recht oder zu Unrecht, darauf verzichtet, so sei es nachzuholen, sobald es möglich werde. Nach § 4 Abs. 1 S. 1 SEBG sei ein besonderes Verhandlungsgremium zu bilden, die Vorschrift enthalte die materielle Verpflichtung zur Durchführung eines Verhandlungsverfahrens. Diese Durchführungspflicht sei zu befolgen, wenn zu einem späteren Zeitpunkt als der Gründung in die Gründungsgesellschaft oder in die SE selbst Arbeitnehmer aufgenommen würden. Es sei ausreichend, dass die KG Arbeitnehmer beschäftige, diese sei beteiligte Gesellschaft gemäß § 2 Abs. 2 SEBG. Die Vorschriften der §§ 4 ff. SEBG seien auf den Fall einer wirtschaftlichen Neugründung analog anzuwenden. Weil Art. 12 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-VO) die Eintragung einer SE ohne vorherige Durchführung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens nicht vorsehe, sei dieses entsprechend dem gesetzgeberischen Regelungsplan dan...