Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung eines Antrags im Beschlussverfahren. Keine Antragsbefugnis eines Betriebsrats zur Durchführung einer Gesamtbetriebsvereinbarung. Hohe Anforderungen an einen groben Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Pflichten aus dem Betriebsverfassungsgesetz
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Antrag des Betriebsrats, "zu unterlassen, höchstens eine Zeitgutschrift ... gutzuschreiben", stellt keinen Unterlassungsanspruch, sondern der Sache nach einen Handlungsanspruch dar, nämlich zu verlangen, eine bestimmte Menge an Zeitgutschrift gutzuschreiben. Der Antrag kann entsprechend ausgelegt werden.
2. Dem Betriebsrat steht kein Anspruch auf Durchführung einer Gesamtbetriebsvereinbarung mit einem bestimmten Inhalt nach § 77 Abs. 1 S. 2 BetrVG zu; dieser Durchführungsanspruch ist demjenigen Organ vorbehalten, das die Vereinbarung abgeschlossen hat.
3. Der Anspruch besteht mangels Antragsbefugnis auch nicht nach § 23 Abs. 3 BetrVG. Eine mögliche falsche Handhabung der Bestimmung einer Gesamtbetriebsvereinbarung, die der Gesamtbetriebsrat in originärer Kompetenz nach § 50 Abs. 1 BetrVG abgeschlossen hat, stellt keinen Verstoß im Sinne des § 23 Abs. 3 BetrVG gegen eine Pflicht des Arbeitgebers nach dem BetrVG dar, da die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung nicht berührt ist.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 1 S. 2, § 23 Abs. 3, § 50 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 12.09.2018; Aktenzeichen 5 BV 2/18) |
Tenor
I. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1.) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 12.09.2018, Az. 5 BV 2/18, wird zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Pflicht der am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Arbeitgeber, es entsprechend einer Gesamtbetriebsvereinbarung zu unterlassen, höchstens eine bestimmte Arbeitszeit gutzuschreiben.
Die Beteiligten zu 2.) und 3.) führen in N... einen Gemeinschaftsbetrieb, in dem der Beteiligte zu 1.) als aus 21 Mitgliedern bestehender Betriebsrat fungiert. Die Beteiligten zu 2.) und 3.) sind mit ihrem Betrieb der Automobilzulieferindustrie an den Manteltarifvertrag für die bayerische Metall- und Elektroindustrie kraft Mitgliedschaft gebunden.
Unter dem 12.10.2011 haben die damals den Betrieb noch alleine führende Beteiligte zu 2.) und der Gesamtbetrieb eine "Gesamtbetriebsvereinbarung zur Integration Schwerbehinderter und Gleichgestellter" abgeschlossen. Diese Gesamtbetriebsvereinbarung, deren genauen Wortlautes wegen auf die mit dem Antrag vorgelegte Ablichtung Bezug genommen wird (Anlage ASt 1, Bl. 6 ff. d.A.), hat, soweit vorliegend von Bedeutung, folgenden Wortlaut:
Nr. 7.3
Schwerbehinderte, die aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung innerhalb der Arbeitszeit einen Facharzt/Amtsarzt oder eine zuständige Behörde aufsuchen müssen, bekommen die dadurch ausfallende Arbeitszeit bezahlt. Die Erforderlichkeit des Aufsuchens einer Behörde während der Arbeitszeit ist zu belegen.
Hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit existiert eine Standortbetriebsvereinbarung (Anlage ASt 2, Bl. 10 ff. d.A.), die - soweit vorliegend von Interesse - folgendes besagt:
1.2.1 An der elektronischen Zeiterfassung nehmen alle Tarif-Beschäftigten teil.
...
1.3 Zeitkonten
1.3.1 Jeder Mitarbeiter, der an der Zeiterfassung teilnimmt, verfügt über jeweils ein Konto für die Gleitzeit und Mehrarbeit im Zeiterfassungssystem.
...
1.3.2 Das Gleitzeitkonto (Zeitsaldokonto) verbucht die Differenz der täglichen Arbeitszeit zur täglichen Sollarbeitszeit.
...
2. Beginn und Ende der Arbeitszeit
2.1 Alle Beschäftigten in Gleitzeit können innerhalb der Rahmenarbeitszeit und ggf. Funktionsarbeitszeit Beginn und Ende der Arbeitszeit arbeitstäglich selbst bestimmen.
...
2.3 Rahmenarbeitszeit
Die Rahmenarbeitszeit je Arbeitstag ist die Zeit vom frühestmöglichen Arbeitsbeginn bis zum letztmöglichen Arbeitsende. Innerhalb dieser Zeit wird grundsätzlich die regelmäßige tägliche Arbeitszeit, zuzüglich Pausen, abgeleistet.
2.3.1 Allgemein
Die Rahmenarbeitszeit von 06:00 - 20:00 von Montag bis Freitag gilt für alle Beschäftigten, mit Ausnahme der Beschäftigten, die unter Punkt 3 (Beschäftigte im Schichtbetrieb) geregelt sind.
Der Antragsteller und Beteiligte zu 1.) hat geltend gemacht, die Arbeitgeber hätten gegen die Gesamtbetriebsvereinbarung verstoßen. Ein schwerbehinderter Mitarbeiter habe aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen einen Facharzt aufsuchen müssen. Er habe jedoch 5 Stunden 34 Minuten gearbeitet, durch den Arztbesuch seien 3 Stunden 8 Minuten ausgefallen. Im Arbeitsvertrag des Mitarbeiters sei eine wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden sowie Gleitzeit vereinbart worden. Der Mitarbeiter H... habe am 23.02.2017 um 06.50 Uhr seine Arbeit aufgenommen; er habe seinen Arbeitsplatz um 10.01 Uhr verlassen, um pünktlich beim notwendigen fachärztlichen Besuch, der für 10.25 Uhr vereinbart gewesen sei, zu sein. Nach Abschluss der Untersuchungen um 12.55 Uhr sei er in den Betrieb zurückgekehrt und habe von 13.09 Uhr bis 15.32 Uhr we...