Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung der PKH-Bewilligung durch die Staatskasse – § 127 Abs. 2 Satz 1 ZPO
Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 127 Abs. 2 Satz 1 ZPO kann die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe durch die Staatskasse grundsätzlich nur nach Maßgabe des Absatzes 3 angegriffen werden. Ausnahmsweise ist jedoch der Bewilligungsbeschluß auch dann anfechtbar, wenn die Entscheidung jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt, d. h. ein greifbarer Gesetzesverstoß vorliegt oder die Grenzen des Ermessens eindeutig verkannt worden sind.
2. Ein greifbarer Gesetzesverstoß liegt vor, wenn die Prozeßkostenhilfe nach Abschluß des Verfahrens rückwirkend bewilligt worden ist, ohne daß ein formgerechter Antrag während des Verfahrens gestellt worden ist. Ein formgerechter Antrag liegt dann nicht vor, wenn die zwingend vorgeschriebenen Unterlagen (§ 117 Abs. 2, 3 ZPO) erst nach Abschluß des Verfahrens nachgereicht werden,
Verfahrensgang
ArbG Nürnberg (Beschluss vom 20.05.1988; Aktenzeichen 7 Ca 1354/88) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Staatskasse wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 20.05.1988 (7 Ca 1354/88) aufgehoben.
2. Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Mit Klage vom 10.03.1988 hat der Kläger die Rechtsunwirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 03.03.1988 geltend gemacht. Im Gütetermin vom 02.05.1988 hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers Prozeßkostenhilfe beantragt und gleichzeitig erklärt, daß er die erforderlichen Unterlagen nachreichen werde. Der Rechtsstreit ist durch gerichtlichen Vergleich vom 02.05.1988 mit Ablauf der widerrufsfrist am 16.05.1988 beigelegt worden. Mit Schriftsatz vom 16.05.1988, bei Gericht am 18.05.1988 eingegangen, hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers vorgelegt.
Durch Beschluß vom 20.05.1988 hat das Arbeitsgericht Nürnberg dem Kläger Prozeßkostenhilfe ab 02.05.1988 ohne Festsetzung von Raten bewilligt und Herrn Rechtsanwalt … zur Vertretung beigeordnet.
Gegen diesen Beschluß hat der Bezirksrevisor mit Schriftsatz vom 22.06.1988, beim Arbeitsgericht Nürnberg am 24.06.1988 eingegangen, Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe zurückzuweisen; hilfsweise Prozeßkostenhilfe unter Anordnung von Ratenzahlungen zu bewilligen. Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akte dem Landesarbeitsgericht als Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Nach § 127 Abs. 2 Satz 1 ZPO kann die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe nur nach Maßgabe des Absatzes 3 angefochten werden. Nach § 127 Abs. 3 ZPO findet gegen die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe die Beschwerde der Staatskase statt, wenn weder Monatsraten noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind, wobei die Beschwerde nur darauf gestützt werden kann, daß die Partei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen zu leisten hat.
Nach herrschender Meinung ist jedoch ausnahmsweise ein Prozeßkostenhilfebeschluß auch dann anfechtbar, wenn die Entscheidung jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt, d. h. ein greifbarer Gesetzesverstoß vorliegt oder die Grenzen des Ermessens eindeutig verkannt worden sind (vgl. LAG Düsseldorf, EzA § 127 ZPO Nr. 6; LAG Köln, EzA § 127 ZPO Nr. 7; LAG Düsseldorf, LAGE § 127 ZPO Nr. 8 und 10; LAG Köln, LAGE § 127 ZPO Nr. 12; LAG Bremen, LAGE § 127 ZPO Nr. 14; Zöller ZPO 15. Aufl., § 127 Rdnr. 32; OLG Koblenz, Rpfleger 1983, 174; Rpfleger 1984, 367; OLG Hamm Rpfleger 1984, 368; LAG Düsseldorf, JurBüro 1986, 609; LAG Düsseldorf, JurBüro 1987, 1704; LG Marburg, JurBüro 1988, 220).
Als greifbarer Gesetzesverstoß wird angesehen, wenn die rückwirkende Bewilligung der Prozeßkostenhilfe aufgrund eines nach Abschluß des Verfahrens gestellten Antrags erfolgt (LAG Düsseldorf, § 127 ZPO Nr. 6; LAG Köln, EzA § 127 ZPO Nr. 7 mit Anm. von Schneider; LAG Bremen, LAGE § 127 ZPO Nr. 14; OLG Hamburg, MDR 83 234; BGH, NJW 82, 446; LG Landau Rpfleger 85, 375; LAG Niedersachsen, KostRsp. ZPO § 119 Nr. 50; OVG Bremen, JurBüro 84, 1092; LG Bayreuth, JurBüro 1987, 445; OLG Bamberg, JurBüro 86, 1754; LG Bielefeld, JurBüro 1986, 406; Stein-Jonas, ZPO, 20. Aufl., § 119 IV 3; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO 46. Aufl., § 122 1 B; Zöller-Schneider, ZPO, 15. Aufl., § 119 Rz. 18). Denn die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe ist, wie schon der Wortlaut des Gesetzes zeigt, auf die Zukunft gerichtet (vgl. etwa BGH, NJW 1982, 446; LAG Hamburg, LAGE § 119 Nr. 4; OLG Frankfurt, MDR 1983, 137).
Es entspricht daher herrschender Meinung und ständiger Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg, daß die rückwirkende Bewilligung von Prozeßkostenhilfe auf jenen Zeitpunkt begrenzt ist, zu dem der Antragsteller durch einen formgerechten Antrag und Beifügung der erforderlichen Unterlagen (§ 117 Abs. 2, 3 ZPO) von seiner Se...