Entscheidungsstichwort (Thema)

Schuldverpflichtungen als besondere Belastungen

 

Leitsatz (amtlich)

Schuldverpflichtungen als besondere Belastungen im Sinne von § 115 Abs. 1 Satz 3, Halbs. 2 ZPO sind in aller Regel vom Einkommen der Partei dann absetzbar, wenn diese ohne zwingende Notwendigkeit nicht erst in Kenntnis des bevorstehenden Prozesses eingegangen sind und sich das Einkommen durch die Tilgung tatsächlich und dauerhaft vermindert. Auf den Anlaß der Schuldverpflichtung kommt es grundsätzlich nicht an.

 

Normenkette

ZPO § 115 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Bayreuth (Beschluss vom 01.09.1988; Aktenzeichen 1 Ca 411/88)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Bayreuth vom 01.09.1988 – 1 Ca 411/88 – insoweit aufgehoben, als der Klägerin auferlegt wurde, monatliche Ratenzahlungen von 90,– DM zu leisten.

 

Tatbestand

I.

Die nach § 127 ZPO zulässige Beschwerde ist begründet.

Die Klägerin ist angesichts ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse nicht verpflichtet, die Kosten der Prozeßführung in monatlichen Roten abzutragen. Ihr nach § 115 ZPO einzusetzendes Einkommen bleibt unter den Sätzen der Tabelle zu § 114 ZPO, ab denen Ratenzahlungen festzusetzen sind. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts ist zumindest ihre Zahlungsverpflichtung aus dem Darlehensvertrag vom 17.07.1985, zu deren Tilgung sie entsprechende Beträge monatlich an die Dresdner Bank überweist (Restschuld 13.000,– DM; Stand Juli 1988), in voller Höhe als einkommensmindernde Belastung anzurechnen.

 

Entscheidungsgründe

II.

1. Gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 ZPO sind von dem in Anwendung des § 76 Abs. 2 BSHG errechneten Einkommen der die Prozeßkostenhilfe nachsuchenden Partei „weitere Beträge abzusetzen, soweit dies mit Rücksicht auf besondere Belastungen angemessen ist”. Denn Sinn und Zweck der Prozeßkostenhilferegelungen (vgl. z. B. § 114 ZPO und die Tabelle in Anlage 1 und § 115 Abs. 4 S. 1 ZPO) wie auch des § 115 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 ZPO ist es, den angemessenen Lebensunterhalt der Partei durch die Prozeßkosten nicht nur deshalb übermäßig einzuschränken, um den Rechtsstreit führen zu können (vgl. Zöller/Schneider, ZPO, 14. Aufl., § 115 Rz 23). Daher kommen zunächst grundsätzlich olle größeren finanziellen Belastungen als absetzbar in Betracht, die über längere Zeit hinweg bestehen und die diesem Zweck zuwiderlaufen. Zwar hat der Gesetzgeber nicht näher konkretisiert, was als „angemessen” im Sinne von § 115 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 ZPO zu werten ist. Einigkeit besteht Jedoch in der Rechtsprechung soweit, daß solche Schuldverpflichtungen nicht berücksichtigt werden können, die – ohne zwingende Notwendigkeit – erst eingegangen wurden, als der finanzielle Bedarf an Verfahrenskosten bereits hinreichend deutlich erkennbar war oder schon feststand (Zöller/Schneider, ZPO, 15. Aufl., § 115 Rz. 24 m.w.N.; OLG Bamberg FamRZ 86, 699). Verbreitet wird ober als zusätzliches Kriterium auf Art. und Anlaß der Schuldverbindlichkeit abgestellt. So sollen nur Verbindlichkeiten berücksichtigt werden, die der angemessenen Lebensführung dienten (Zöller/Schneider, a.a.O. und Nachw.) bzw. nach Grund und Höhe unter sozialen Gesichtspunkten vertretbar erscheinen (OLG München, NJW 81, 2128; ähnlich KG AnwBl. 81, 507; OLG Bamberg a.a.O.). Demgegenüber will des OLG Düsseldorf (MDR 84, 150) offenbar nur solche besonderen Belastungen anerkennen, die die Konsequenz außergewöhnlicher Umstände sind, während Schuldverbindlichkeiten wegen Anschaffungen, die der allgemeinen Lebenshaltung zuzurechnen sind, im Regelfall keine gesonderte Berücksichtigung finden sollen.

Das Beschwerdegericht ist mit dem OLG Hamm (Beschluß vom 01.06.1987, JurBüro 1987, 1416) der Auffassung, daß die Berücksichtigung von Schuldverpflichtungen als besondere Belastungen im Sinne von § 115 Abs. 1 Satz 3, Halbs. 2 ZPO in oller Regel dann angemessen, wenn sie nicht in Kenntnis des bevorstehenden Prozesses eingegangen sind und wenn die Partei zu ihrer Tilgung laufend Beträge vom Einkommen abzweigen muß, das verfügbare Einkommen also tatsächlich und dauerhaft vermindert wird (vgl. auch Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 12. Aufl., § 84 Rz. 13). Auf den Anlaß der Schuldenaufnahme kommt es grundsätzlich nicht an (ebenso OLG Köln FamRZ 83, 635). Die andernfalls unausweichliche Notwendigkeit, über Anlaß und Höhe der Verschuldung mehr oder weniger moralisierende Werturteile abzugeben, entspricht nicht dem Sinn und Zweck der Prozeßkostenhilfe. Für das frühere Armenrecht war weitestgehdend anerkannt, daß bei der Prüfung der Armut i. S. von § 114 ZPO nicht darauf abzustellen war, ob die Partei bei sorgsamerer und vorausschauenderer Wirtschaftsführung die Prozeßkosten aus eigenen Mitteln hätte bestreiten können, ob sie also ihr Unvermögen zur Bestreitung der Prozeßkosten verschuldet hat. Erst wenn die Partei sich böswillig arm gemocht hatte, wenn sie also in Kenntnis des bevorstehenden Mittelbedarfs für die Prozeßführung ihr Vermögen in der Absicht vermindert hatte, Kostenbefreiung für den Prozeß zu erlangen, ko...

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