Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine unverzügliche Prüfung der Vorschlagsliste(n) durch den Wahlvorstand als Anfechtungsgrund. Nichteinhaltung der Sechs-Wochen-Frist zwischen Aushang des Wahlausschreibens und Wahltag als Anfechtungsgrund. Anforderungen an die Wahlniederschrift und Bekanntgabe der Gewählten. Zulässigkeit der ausschließlichen Briefwahl auf Anordnung des Wahlvorstands. Aufbewahrung der Briefwahlstimmen unter Aufsicht oder an einem sicheren Ort. Pflicht des Wahlvorstands zur Unterbindung unzulässiger Wahlwerbung. Neutralitätspflicht des Wahlvorstands
Leitsatz (amtlich)
1. Prüft der Wahlvorstand eine eingegangene Vorschlagsliste nicht unverzüglich, sondern stellt er erst nach Ablauf der Einreichungsfrist fest, dass sie einen nicht wählbaren Kandidaten enthält, macht allein dies die Wahl anfechtbar. Erst recht gilt dies, wenn der Wahlvorstand in Absprache mit dem Listenvertreter den nicht wählbaren Kandidaten nachträglich streicht und die Liste zulässt.
2. Die Nichteinhaltung der Mindestfrist von sechs Wochen zwischen Aushang des Wahlausschreibens und Wahltag nach § 3 Abs. 1 WO macht die Wahl anfechtbar. Bei ausschließlicher Briefwahl müssen mindestens sechs Wochen zwischen Aushang des Wahlausschreibens und Abgabefrist für die Briefwahlunterlagen liegen.
3. Wahlniederschrift nach § 16 WO und Bekanntgabe der Gewählten nach § 18 WO sind unterschiedliche Dokumente. Wird allein die Wahlniederschrift durch Aushang bekannt gemacht, ist dies aber ausreichend, wenn in diesem Aushang die Namen der Gewählten nach deren Entscheidung über die Annahme oder Nichtannahme der Wahl deutlich erkennbar sind.
4. In Einzelfällen erscheint es als zulässig, wenn der Wahlvorstand auf die Aufstellung einer Urne verzichtet und für alle Beschäftigten Briefwahl anordnet. Es spricht viel dafür, dass im Hinblick auf die Pandemie im Sommer 2020 nicht davon ausgegangen werden konnte, dass einer Urnenwahl Hindernisse entgegenständen.
5. Der Wahlvorstand ist nicht verpflichtet, für eingehende Briefwahlstimmen einen Briefkasten oder eine Urne bereitzustellen. Werden die Briefwahlstimmen in der Poststelle in einer offenen Box aufbewahrt, die täglich von einem Mitglied des Wahlvorstands geleert wird, ist dies unschädlich, wenn die Poststelle durchgehend mit hierfür vorgesehenen Mitarbeitern besetzt ist. Erst anschließend sind die Briefwahlstimmen an einem sicheren Ort verschlossen aufzubewahren.
6. Macht eine Vorschlagsliste, in der Wahlvorstandsmitglieder auch kandidieren, Werbung für diese Liste unter der Verwendung der Bezeichnung "Euer Wahlvorstand", kann dies die Arbeitnehmer beeinflussen; der Wahlvorstand ist gehalten, unverzüglich alles zu tun, um die Weiterverwendung der Werbung zu stoppen. Unternimmt er nichts, macht dies die Wahl anfechtbar.
7. Wendet sich der Wahlvorstand als solcher in einer Mail an die Arbeitnehmer, darf diese Mail keine Tendenz enthalten, die als Ablehnung einer Liste verstanden werden kann. Daher sind Erläuterungen, nur wegen der Liste XY sei "der Normalfall" der Personenwahl nicht möglich, und, man solle bedenken, dass der Betriebsrat nicht nur für einzelne da sei - weil die Bewerber der zweiten Liste vorrangig aus einem bestimmten Kreis von Beschäftigten stammen -, geeignet, die Wähler zu beeinflussen. Auch dieser Verstoß gegen die Neutralitätspflicht des Wahlvorstands begründet für sich die Anfechtung der Wahl.
Normenkette
BetrVG § 19; WO §§ 7-8, 16, 18, 24; ArbGG § 83 Abs. 1; WO § 3 Abs. 1, § 41
Verfahrensgang
ArbG Bamberg (Entscheidung vom 16.03.2021; Aktenzeichen 5 BV 7/20) |
Tenor
I. Die Beschwerde des Beteiligten zu 6.) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bamberg vom 16.03.2021, Az.: 5 BV 7/20, wird zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Anfechtung einer Betriebsratswahl.
Die Beteiligte zu 1.) führt einen Betrieb in B. In diesem Betrieb wurde im August 2020 erstmalig ein Betriebsrat gewählt, der Beteiligte zu 6.). Die Beteiligten zu 2.) bis 5.) sind bzw. waren im Betrieb beschäftigte wahlberechtigte Arbeitnehmer.
Der zur Betriebsratswahl gebildete Wahlvorstand erließ am 09.07.2020 ein am 10.07.2020 ausgehängtes Wahlausschreiben, dessen genauen Wortlauts wegen auf die mit der Antragsschrift vorgelegte Ablichtung Bezug genommen wird (Bl. 15 f. d.A.). Danach sollte die Wahl "aufgrund der unabwägbaren Corona-Situation" ausschließlich im Wege der Briefwahl erfolgen, Briefwahlunterlagen konnten bis 21.08., 11.00 Uhr, an der Poststelle abgegeben werden. Die Frist zur Einreichung von Vorschlagslisten war auf 24.07.2020 festgelegt. Der Betriebsrat sollte aus neun Mitgliedern bestehen, auf das in der Minderheit befindliche Geschlecht der Männer sollten zwei Mindestsitze entfallen.
Die Initiatoren der Betriebsratswahl, die auch im Wahlvorstand vertreten sind, kandidierten auf der Liste "Ver.di und Kollegen", die nach einem entsprechenden Losentscheid als Liste 2 geführt wurde. Außer dieser Liste ging noch eine zweite Liste mit dem Kennwort "Für die...