Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr der beigeordneten Rechtsanwältin
Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 15 a Abs. 1 RVG bedeutet "Anrechnung" nicht das Erlöschen der einen oder anderen Gebühr in bestimmter Höhe, sondern lediglich eine Begrenzung nach oben, innerhalb derer dem Rechtsanwalt ein Wahlrecht zusteht. Dies gilt auch für den beigeordneten Rechtsanwalt gegenüber der Staatskasse.
2. Anzurechnen ist die Geschäftsgebühr gemäß Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG, 15 a RVG auf die Verfahrensgebühr gemäß §§ 45 Abs. 1, 49 RVG, Nr. 3100 VV-RVG nur, soweit die Geschäftsgebühr an den beigeordneten Rechtsanwalt tatsächlich gezahlt worden ist. Die bloße Entstehung der Geschäftsgebühr genügt im Verfahren auf Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütungen nach § 55 RVG nicht.
Normenkette
RVG §§ 15a, 55; VV-RVG Teil 3 Vorbem. Abs. 4; RVG § 15a Abs. 1, § 45 Abs. 1, §§ 49, 55 Abs. 5 S. 2; RVG-VV Teil 3 Vorbem. Abs. 4; RVG-VV Nr. 3100
Verfahrensgang
ArbG Bamberg (Entscheidung vom 29.12.2011; Aktenzeichen 4 Ca 509/10) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Klägervertreterin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bamberg - Kammer Coburg - vom 29.12.2011 Az.: 4 Ca 509/10 abgeändert.
II. Die der beigeordneten Rechtsanwältin aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung wird auf 909,51 € festgesetzt.
Gründe
A. Die Parteien führten einen Rechtsstreit um Vergütungsansprüche. Das Arbeitsgericht hatte dem Kläger Prozesskostenhilfe für das Verfahren und den Vergleichsabschluss bewilligt und ihm die Klägervertreterin beigeordnet. Monatsraten wurden nicht festgesetzt.
Das Verfahren endete am 19.04.2011 durch Vergleichsabschluss.
Mit Beschluss vom 19.04.2011 setzte das Arbeitsgericht den Streitwert für das Verfahren auf 2.159,85 €, für den Vergleich auf 2.659,85 € fest.
Mit Prozesskostenhilfefestsetzungsantrag vom 27.04.2011 beantragte die Klägervertreterin die Festsetzung und Erstattung von Prozesskostenhilfegebühren i.H.v. 956,52 € incl. 19 % Mehrwertsteuer. Sie gab an, dass eine vorgerichtliche Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV-RVG angefallen sei, aber nur i.H.v. 0,65 gegenüber dem Mandanten geltend gemacht werde.
Mit Beschluss vom 10.05.2011 setzte der Kostenbeamte die der Klägervertreterin aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung auf 784,98 € incl. 19 % Mehrwertsteuer fest. Zum einen reduzierte der Kostenbeamte die von der Klägervertreterin beantragte Einigungsgebühr hinsichtlich des überschießenden Vergleichswertes. Dies ist jedoch nicht Gegenstand der Beschwerde. Zum anderen rechnete der Kostenbeamte auf die von der Klägervertreterin aus dem Verfahrensstreitwert von 2.159,85 € geltend gemachte 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG die von der Klägervertreterin angesetzte vorgerichtliche Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG i.H.v. 0,65 an. Dies ergebe sich aus der Vorbemerkung 3 Abs. 4 S. 1 zu Nr. 3100 VV-RVG.
Bezüglich der Anrechnung der Geschäftsgebühr legte die Klägervertreterin gegen den Beschluss vom 10.05.2011 mit Schriftsatz vom 11.05.2011 Erinnerung ein.
Sie beruft sich darauf, dass eine Anrechnung der vorgerichtlich angefallen Geschäftsgebühr nicht zu erfolgen habe, da diese weder geltend gemacht noch zugesprochen worden sei. Gegenüber dem Kläger werde lediglich eine 0,65 Geschäftsgebühr geltend gemacht, so dass die Verfahrensgebühr in voller Höhe aus der Staatskasse zu vergüten sei. Die Regelung des § 15 a RVG betreffe ausdrücklich auch Abrechnungen gegenüber der Staatskasse.
Mit Beschluss vom 20.05.2011 half der Kostenbeamte der Erinnerung nicht ab und legte das Verfahren dem Kammervorsitzenden des Arbeitsgerichts zur weiteren Entscheidung vor.
Der Kammervorsitzende wies die Erinnerung mit Beschluss vom 29.12.2011 zurück und ließ hinsichtlich der Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG auf die 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.
Gegen diesen, der Klägervertreterin am 03.01.2012 zugestellten Beschluss legte diese mit Schriftsatz vom 12.01.2012, eingegangen beim Arbeitsgericht Bamberg am 16.12.2012, Beschwerde ein. Wegen der Beschwerdebegründung wird auf Bl. 55 d.A. verwiesen.
Mit Beschluss vom 24.01.2012 half das Arbeitsgericht der Beschwerde der Klägervertreterin nicht ab und legte sie dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vor.
B. I. Die Beschwerde der Klägervertreterin ist zulässig.
Sie ist statthaft, §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG. Sie konnte wegen der ausdrücklichen Zulassung durch das Erstgericht auch ohne Erreichung des Beschwerdewertes eingelegt werden, §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 S. 2 RVG und wurde auch innerhalb der Frist von zwei Wochen, § 33 Abs. 3 S. 3 RVG eingelegt.
II. Die Beschwerde ist begründet.
Der beigeordneten Prozessbevollmächtigten des Klägers steht eine festzusetzende Vergütung i.H.v. insgesamt 909,51 € zu.
Der Anspruch der Klägervertreterin auf Vergütung in Höhe einer 1,3-fachen Verfahrensgebühr gemäß §§ 45 Abs. 1, 49 RVG, Nr. 3100 VV-RVG ist nicht durch Anrechnung der für die vorger...