Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmung beim Aufbau einer Organisationsstruktur zum Arbeits- und Gesundheitsschutz. Beauftragung einzelner Beschäftigter für Aufgaben des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Keine originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats bei Schaffung einer Organisation zum Arbeits- und Gesundheitsschutz
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG setzt ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv besteht und wegen des Fehlens einer zwingenden Vorgabe eine abstrakt-generelle betriebliche Regelung notwendig wird, in der Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam festlegen, auf welche Weise das vom Gesetz vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes erreicht werden kann.
2. Bei der Übertragung von Aufgaben des Arbeits- und Gesundheitsschutzes an Dritte handelt es sich typischerweise um Einzelmaßnahmen, für die kein Mitbestimmungsrecht besteht. Mit der Beauftragung handelt der Arbeitgeber im Rahmen seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit.
3. Die Schaffung einer Organisation gem. § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG gehört nicht zur originären Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats i.S.d. § 50 Abs. 1 BetrVG. Denn es besteht kein zwingendes Erfordernis für eine betriebsübergreifende oder unternehmenseinheitliche Regelung. Arbeits- und Gesundheitsschutz können für die einzelnen Betriebe praxisnäher und individueller unter Beteiligung der örtlichen Betriebsräte geregelt werden.
Leitsatz (amtlich)
Die betriebsübergreifende Übertragung von Aufgaben des Arbeits- und Gesundheitsschutzes auf bestimmte Arbeitnehmergruppen und zentrale Abteilungen führt nicht zu einer originären Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats.
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 7; ArbSchG § 3 Abs. 2 Nr. 1; BetrVG § 50 Abs. 1; ArbSchG § 3 Abs. 1 S. 1, § 5 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Bamberg (Entscheidung vom 04.06.2019; Aktenzeichen 3 BV 20/18) |
Tenor
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über ein Mitbestimmungsrecht betreffend die Schaffung einer Organisation zur Planung und Durchführung der erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes.
Die Beteiligte zu 2) ist ein Unternehmen der Versicherungsbranche, das in seiner Zentrale in C... ca. 5.000 Mitarbeiter beschäftigt. Weitere rund 3.500 Beschäftigte sind in 38 Betrieben tätig, die in fünf Direktionsbereiche (Nord, Mitte, Süd, Süd-West und West) aufgeteilt sind. Für diese Außenstellen sind in ihrem jeweiligen Direktionsbereich fünf Direktionsbeauftragte Vertrieb verantwortlich. Von den Außenstellen organisatorisch getrennt sind acht dezentrale Kundenbetreuungsstandorte, für die jeweils ein Bereichsleiter Kundenbetreuung verantwortlich ist. Den Kundenbetreuungsstandorten H..., A... und F... sind Betriebsteile aus anderen Betrieben zugeordnet, sogenannte Satelliten. In 35 Betrieben besteht ein örtlicher Betriebsrat. Der Beteiligte zu 1) ist der bei der Beteiligten zu 2) eingerichtete Gesamtbetriebsrat.
Die Beteiligte zu 2) ließ dem Beteiligten zu 1) eine Übersicht "Organisation des betrieblichen Arbeitsschutz" vom 20.01.2015 (vgl. Bl. 12 ff. d.A.) zukommen. Nach dieser Übersicht beauftragte die Beteiligte zu 2) die Direktionsbeauftragten Vertrieb sowie die Bereichsleiter Kundenbetreuung unter Bezugnahme auf § 13 Abs. 2 ArbSchG mit der Wahrnehmung von Aufgaben des Arbeits- und Gesundheitsschutzes einschließlich der Kontrolle deren ordnungsgemäßer Durchführung. In der Übersicht vom 20.01.2015 wird ein Auszug aus dem Beauftragungsschreiben an die Direktionsbeauftragten Vertrieb sowie die Bereichsleiter Kundenbetreuung gemäß § 13 Abs. 2 ArbSchG wie folgt wiedergegeben (vgl. Bl. 17 f. d.A.):
"Die Beauftragten haben Sorge zu tragen, dass
• die für den Betrieb geltenden Betriebsvereinbarungen (z.B. GFB, Unterweisung) abgeschlossen und umgesetzt werden,
• die jährlichen sicherheitstechnischen Begehungen durchgeführt werden,
• die ASA - Sitzungen regelmäßig stattfinden,
• notwendige Arbeitsschutzmittel zur Verfügung gestellt, regelmäßig auf Funktionsfähigkeit überprüft und diese entsprechend den Weisungen von den Mitarbeitern verwendet werden,
• bei festgestellten Mängeln entsprechende Informationen und mögliche Maßnahmen zu deren Beseitigung unverzüglich an die im Unternehmen zuständigen Stelle gegeben werden und deren Umsetzung nachgehalten wird,
• Beschäftigungsbeschränkungen (Behinderte, Jugendliche, werdende Mütter) eingehalten werden,
• eine wirksame Erste Hilfe sichergestellt wird, Ersthelfer bestellt sind und für eine regelmäßige Aus- und Fortbildung der Ersthelfer gesorgt wird,
• Brandschutzhelfer und Sicherheitsbeauftragte in der gesetzlich vorgeschriebenen Anzahl bestellt sind und für deren regelmäßige Aus- und Fortbildung gesorgt wird,
• im Rahmen des Arbeitsschutzes verbindliche Weisungen gegenüber dem/der ihm/ihr unterstellten Mitarbeitern zu erteilen,
• im Rahmen des Arbeitsschutzes verbindliche Weisungen gegenüber Mitarbeitern aus anderen Bereichen erteilt werden, sofern ...