Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats für den Verteilungsmaßstab einer konzernweiten Prämie. Verlagerung des Mitbestimmungsrechts von der Konzernbetriebsratsebene auf die Betriebsratsebene. Sicherung der Mitbestimmung durch den Betriebsrat bei unterschiedlichen Konzernstrukturen. Betriebsratsbeschluss als Voraussetzung für ein Verfahren nach § 100 ArbGG. Auswahl einer geeigneten Person als Einigungsstellen-Vorsitzender durch das Gericht. Ablehnung eines Antrags auf Einsetzung einer Einigungsstelle
Leitsatz (amtlich)
1. Entscheidet sich die Konzernobergesellschaft, allen Mitarbeitern weltweit eine einheitliche Corona-Prämie zukommen zu lassen, ist für die Festlegung der Verteilungsmaßstäbe nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG grundsätzlich der Konzernbetriebsrat zuständig.
2. Existiert kein Konzernbetriebsrat, weil im Geltungsbereich des BetrVG nur ein einziger Betrieb einer Konzerntochter vorhanden ist, ist die Verlagerung des Mitbestimmungsrechts auf den Betriebsrat dieser Tochter zumindest nicht offensichtlich aus Rechtsgründen ausgeschlossen.
3. Dies gilt erst recht dann, wenn die Konzernobergesellschaft gleichzeitig als Komplementärgesellschaft der - den in Deutschland gelegenen Betrieb führenden - Konzerntochter fungiert. In dieser Konstellation kann von "fehlender Einflussmöglichkeit" der Konzerntochter (hierauf stellt BAG v. 12.06.2019, 1 ABR 57/17, ab) nicht ausgegangen werden.
4. Eine andere Betrachtung könnte zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Aushöhlung der Mitbestimmungsrechte führen.
5. Im Verfahren nach § 100 ArbGG ist die ordnungsgemäße Verfahrenseinleitung durch entsprechenden Betriebsratsbeschluss festzustellen - der Offensichtlichkeitsmaßstab des § 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG gilt hierfür nicht.
6. Das Gericht ist nicht gehalten, den vom Antragsteller vorgeschlagenen Vorsitzenden auszuwählen; es kann auch ohne substantiierte Einwendungen des weiteren Beteiligten gegen die Person des Vorgeschlagenen eine andere geeignete Person einsetzen.
Leitsatz (redaktionell)
Ein Antrag nach § 100 ArbGG kann nur abgewiesen werden, wenn die Zuständigkeit der Einigungsstelle unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt als möglich erscheint, z.B. wenn offensichtlich ist, dass das vom Betriebsrat in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht nicht gegeben ist. Diese Voraussetzungen liegen nur vor, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht in der fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt.
Normenkette
ArbGG § 100; BetrVG §§ 33, 54, 58, 87 Abs. 1 Nr. 10, § 76 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 23.04.2021; Aktenzeichen 8 BV 24/21) |
Tenor
Beschwerde und Anschlussbeschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 23.04.2021, 8 BV 24/21, werden zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem Gegenstand "Entlohnungsgrundsätze für die Corona-Sonderzahlung".
Die Beteiligte zu 2.) ist ein in der Spielzeugbranche tätiges Unternehmen. Bei ihrer Komplementärgesellschaft handelt es sich um eine Stiftung. Diese Stiftung ist hundertprozentige Gesellschafterin der Firma B... Holding GmbH. Diese Holding hält an den 15 selbständigen Gesellschaften der Gruppe - unter anderem der Beteiligten zu 2.) - die Stimmen- bzw. Anteilsmehrheit. Die einzelnen Tochtergesellschaften sind in verschiedenen Ländern Europas, in der USA, in Kanada und in Mexiko mit jeweils eigenen Betrieben tätig. Die Beteiligte zu 2.) ist das einzige in der Bundesrepublik Deutschland tätige Unternehmen; dieses enthält einen Betrieb, als dessen Betriebsrat der Beteiligte zu 1.) fungiert. Einen Konzernbetriebsrat gibt es nicht.
Die laufenden Geschäfte der Stiftung führt deren Vorstand. Darüber hinaus gibt es einen Stiftungsbeirat mit Sitz in Z... (Deutschland), dem bestimmte Angelegenheiten vorbehalten sind.
Dieser Stiftungsbeirat wies im November 2020 den Vorstand der Stiftung verbindlich an, eine Corona-Sonderzahlung in den Gesellschaften der Unternehmensgruppe auf dem rechtlich zulässigen Weg zu veranlassen. Dabei sollte für die Gesellschaften kein Umsetzungsspielraum bestehen. Die Prämie sollte 500,- € betragen, bei Teilzeitbeschäftigten anteilig. Es sollte eine im Einzelnen bestimmte Kürzung bei Arbeitsunfähigkeit vorgenommen werden (Anlage 4 zur Antragsschrift, Bl. 30 ff. d.A.). Die Prämie wurde um die Jahreswende 2020/2021 ausgezahlt.
Der Beteiligte zu 1.) verwies in der Folge auf ein ihm zustehendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, dessen Bestehen die Beteiligte zu 2.) verneinte.
Mit am 26.03.2021 eingegangenem Antrag der Prozessbevollmächtigten selben Datums hat der Beteiligte zu 1.) die Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem Gegenstand "Entlohnungsgrundsätze für die Corona-Sonderzahlung" mit dem Vorsitzenden VRiBAG a.D. K... und der Zahl der Beisitzer auf drei pro Seite begehrt. Der Beteiligte zu 1.) hält ein diesbezügliches Mitbestimmungsrecht ...