Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsweg. Schwerbehindertenvertretung. Freistellung. Sonstiges. Rechtswegzuständigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten zur Entscheidung im Beschlussverfahren ist für sämtliche organschaftlichen Streitigkeiten der Schwerbehindertenvertretung gegeben. Dies gilt auch, wenn sich die Rechtsgrundlage nicht aus den in § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG ausdrücklich aufgeführten §§ 94, 95 SGB IX ergibt, sondern aus § 96 SGB IX (hier: Freistellung bei wenigstens 200 schwerbehinderten Menschen).

 

Normenkette

ArbGG § 2a Abs. 1 Nr. 3a; SGB IX § 96 Abs. 4 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Nürnberg (Beschluss vom 16.05.2007; Aktenzeichen 11 BV 8/07)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 16.05.2007, Az. 11 BV 8/07, aufgehoben.

2. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen wird für eröffnet erklärt.

3. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

4. Der Streitwert der sofortigen Beschwerde wird auf 1.333,– EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Antragstellerin, die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen über die bisher gewährten 50% hinaus zu 100% von der Verpflichtung der Arbeitsleistung freizustellen. Diese Vertrauensperson ist zugleich Mitglied des Personalrats und war bisher in dieser Funktion zu 50% freigestellt. Die Schwerbehindertenvertretung hat die volle Freistellung gemäß § 96 Abs. 4 S. 2 SGB IX mit der Begründung beantragt, im Klinikum seien mehr als 200 schwerbehinderte Menschen beschäftigt. Die Dienststelle hat die weitergehende Freistellung abgelehnt. Die Antragsgegnerin hat die Zuständigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen gerügt.

Die Antragstellerin hat sich bezüglich der Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen zur Entscheidung im Beschlussverfahren auf die Vorschrift des § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG berufen. Sie hat die Auffassung vertreten, hiernach sei es unerheblich, ob die Schwerbehindertenvertretung in einem Betrieb oder einer Dienststelle gewählt sei. Nach dieser Vorschrift sei die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für die Schwerbehindertenvertretung immer dann gegeben, wenn es sich hierbei nicht um Beamte handele. Die Antragsgegnerin hat sich hiergegen auf die Rechtsprechung im einzelnen aufgeführter Verwaltungsgerichte berufen mit der Begründung, beim Streit über die Freistellung handele es sich nicht um eine in § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG aufgeführte Streitigkeit nach §§ 94, 95 oder 139 SGB IX, sondern um eine Streitigkeit über eine in § 96 SGB IX geregelte Frage. Es gehe nicht um eine personenbezogene, sondern um eine amtsbezogene Feststellung. Im übrigen sei die Notwendigkeit der Freistellung nicht erkennbar.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 16.05.2007 erkannt, dass der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht eröffnet sei, und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Ansbach verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat seine Auffassung im wesentlichen damit begründet, entsprechend der Entscheidung des OVG Münster vom 06.08.2002 sei der Rechtsweg zu den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit gegeben. Es fehle an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung der Zuständigkeit, weil es sich nicht um Angelegenheiten nach §§ 94, 95 oder 139 SGB IX handele. Es sei festzuhalten, dass es sich bei der Schwerbehindertenvertretung angesichts der in §§ 95, 96 SGB IX und Art. 32 ff. BayPVG enthaltenen Bestimmungen ebenso wie beim Personalrat um ein gesetzliches Organ der Betriebs- bzw. Dienststellenverfassung handele. Bei der vorliegenden Streitigkeit gehe es um Rechte und Pflichten des Organs „Schwerbehindertenvertretung”. Der Freistellungsanspruch finde seine Grundlage in der besonderen Stellung des Organs und nicht in dem persönlichen Dienst- bzw. Arbeitsverhältnis desjenigen Beschäftigten, der jeweils die Aufgabe der Vertrauensperson wahrnehme. Dies sei für die vergleichbare Freistellung von Mitgliedern der Personalvertretungen allgemein anerkannt.

Der Beschluss des Arbeitsgerichts ist den Vertretern der Antragstellerin ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 21.05.2007 zugestellt worden. Mit ihrer am 04.06.2007 zum Arbeitsgericht eingereichten sofortigen Beschwerde selben Datums beruft sich die Antragstellerin auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 11.11.2003 mit der Begründung, hier habe das BAG gerade nicht mehr darauf abgestellt, ob in einer Dienststelle ein Betriebs- oder ein Personalrat existiere. Nach dem Gesichtspunkt der Sachnähe sei nicht nachzuvollziehen, warum Angelegenheiten, die das Organ Schwerbehinderung direkt beträfen, vor den Arbeitsgerichten zu behandeln seien, der Streit über den Umfang der Freistellung jedoch nicht. Die Antragsgegnerin wendet ein, der Gesetzgeber hätte die Vorschrift des § 96 SGB IX in die Regelungen der Rechtswegzuständigkeit des § 2a ArbGG aufgenommen, hätte er die Begründung der Zuständigkeit auch für die dort geregelten Fragen gewollt.

Das Arbeit...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?