Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmung deutscher Betriebsvertretungsgremien bei im Ausland getroffenen, mitbestimmungspflichtigen Entscheidungen. Anforderungen an eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle i.S.d. § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG. Beteiligung von Mitbestimmungsgremien unterhalb der Konzernebene bei Matrixorganisation der betrieblichen Strukturen
Leitsatz (amtlich)
1. Entscheidet ein Gesellschafter der im Ausland befindlichen Konzernobergesellschaft über die Gewährung von Boni an in inländischen Betrieben beschäftigte Mitarbeiter, ist die Mitbestimmung des Einzelbetriebsrats nach § 87 BetrVG nicht offensichtlich ausgeschlossen.
2. Es ist in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt, ob in einem solchen Fall - in der ein Konzernbetriebsrat nicht gebildet werden kann - die auf niedrigerer Ebene gebildeten Mitbestimmungsgremien zu beteiligen sind.
3. Erst recht gilt dies, wenn die betrieblichen Strukturen in Matrixorganisation gebildet sind.
4. Sind in einem solchen Fall die auf nationaler Ebene gebildeten Mitbestimmungsgremien zu beteiligen, kann dies nicht mit fehlender Einflussmöglichkeit der entsprechenden Arbeitgeber verneint werden (so aber für Aktienoptionen BAG v. 12.06.2019, 1 ABR 57/17).
5. Zumindest kann nicht von einer abschließend geklärten Rechtsfrage gesprochen werden, aufgrund derer die Einsetzung der Einigungsstelle wegen deren offensichtlichen Unzuständigkeit abgelehnt werden könnte oder müsste.
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG ist nicht deswegen ausgeschlossen, weil die betreffende Entscheidung im Ausland getroffen wird und das BetrVG nicht für im Ausland gelegenen Betriebe gilt. Geht es dabei auch um mögliche Beteiligungsrechte eines deutschen Betriebs des Konzerns, hat der örtliche Betriebsrat mitzubestimmen.
2. Wenn ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 oder Nr. 11 BetrVG unter verschiedenen rechtlichen Aspekten in Betracht kommt, kann der Betriebsrat nach § 87 Abs. 2 BetrVG eine Regelung über die Einigungsstelle erzwingen. Diese ist dann nicht "offensichtlich unzuständig".
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10, § 58; ArbGG § 100; BetrVG §§ 76, 87 Abs. 1 Nr. 11, Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 13.01.2021; Aktenzeichen 3 BV 121/20) |
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 2.) und 3.) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 13.01.2021, Az. 3 BV 121/20, wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Bestellung eines Vorsitzenden einer Einigungsstelle und über die Festlegung der Zahl der Beisitzer zur Regelung von Bonus-Zahlungen.
Die Beteiligte zu 2.), eine hundertprozentige Tochter der Beteiligten zu 3.), führt mit dieser einen gemeinsamen Betrieb in Erlangen, für den der Beteiligte zu 1.) als Betriebsrat gewählt ist. Die Beteiligte zu 3.) wiederum ist eine hundertprozentige Tochter der Firma S... PtE Ltd mit Sitz in Singapur. Die Unternehmensgruppe ist in einer Matrixstruktur organisiert. Mehrheitseigentümer der Firma S... PtE Ltd ist das Unternehmen E.... Dieses kauft oder finanziert über ihre Fonds mittelständische Unternehmen wie die Beteiligten zu 2.) und 3.) und versucht, deren Marktposition nachhaltig zu entwickeln.
Im Zuge derartiger Unternehmensziele legte die E... ein Bonusprogramm auf - genannt "Exit Bonus", "FFP" oder "LTI" für Long-Term-Incentive -, das für verschiedene Unternehmen im Portfolio von E... zur Anwendung kam. Dieses Bonusprogramm sieht Boni für Mitarbeiter an den von E... gehaltenen Unternehmen - und auch deren Tochterunternehmen - vor, wenn E... die Anteile an den Firmen gewinnbringend veräußern könne oder wenn bis zu einem bestimmten Termin ein Börsengang erfolgt sei. Zweck war, diejenigen Mitarbeiter, die für den Erfolg und die Wertsteigerung des Konzerns elementar waren, für einen gewissen Zeitraum an die Unternehmen zu binden und zu sie motivieren, ihren Teil zum Unternehmenserfolg beizutragen. Die Positionen, die als elementar für den strategischen Unternehmenserfolg anzusehen waren, wurden auf Bitten der für E... Verantwortlichen durch den Group CEO der S... Pte Ltd festgelegt. Dieser hatte Spielraum für die Auswahl der entsprechenden Positionen, nicht aber für die Höhe des Budgets (Mail vom 11.02.2015, Anlage AG 5 zur Beschwerdeschrift, Bl. 149 d.A.). Er wählte 61 Positionen aus den verschiedenen Geschäftsbereichen innerhalb des Konzerns aus. Auf den Betrieb in Erlangen entfielen im Zug der Auswahl 12 Positionen. Die Unternehmensleitungen der Beteiligten zu 2.) und 3.) hatten weder mit der Identifizierung der ausgewählten Positionen noch mit der Benennung von Beschäftigten zu tun. Die betroffenen Mitarbeiter erhielten gleichlautende Briefe in englischer Sprache (Anlage AG 1 zum Schriftsatz der Vertreter der Beteiligten zu 2.) und 3.) vom 17.12.2020, Übersetzung in deutscher Sprache, bezeichnet ebenfalls als Anlage AG 1, zum Schriftsatz vom 21.12.2020, Bl. 39 ff. bzw. Bl. 66 ff. d.A.). Dabei wurden die Bedingungen für den Bonus erläuter...