Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für Arbeitszeitregelung. Sonstiges
Leitsatz (amtlich)
1. Besteht eine vom Gesamtbetriebsrat gemäß § 50 Abs. 2 BetrVG geschlossene Betriebsvereinbarung über die Arbeitszeit in den Einzelbetrieben, besteht für einen Arbeitgeberantrag gleichwohl ein Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO an der Feststellung der originären Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG für eine Gesamtbetriebsvereinbarung mit vergleichbarem Inhalt.
2. Soll in einem Beschlussverfahren geklärt werden, ob für Arbeitszeitfragen eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats oder der Einzelbetriebsräte besteht, sind der Gesamtbetriebsrat und die Einzelbetriebsräte Streitgenossen i.S.d. § 62 ZPO. Die Beschwerde eines beteiligten Betriebsrats kann deshalb nicht wegen verspäteter Beschwerdebegründung verworfen werden, wenn andere Beteiligte ihre Beschwerden rechtzeitig begründet haben.
3. Der Gesamtbetriebsrat ist für die Regelung der Arbeitszeit in den Einzelbetrieben nur dann gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG zuständig, wenn eine einheitliche Regelung zwingend aus sachlichen Gründen erforderlich ist (im Anschluss an BAG Beschluss vom 23.09.1975 – Az. 1 ABR 122/73 – und vom 09.12.2003 – Az. 1 ABR 49/02). Diese Voraussetzung liegt nicht vor, wenn ein bundesweit tätiges Versicherungsunternehmen, das eine bundesweite Verfügbarkeit aller Arbeitnehmer zu Zeiten der meisten Kundenanrufe erreichen möchte, nicht im Einzelnen begründet, dass die konkrete Gefahr besteht, die Einzelbetriebsräte würden bei Abschluss von Einzelbetriebsvereinbarungen Unternehmensinteressen nicht in dem von § 2 Abs. 1 BetrVG geforderten Umfang beachten.
Normenkette
BetrVG § 51 Abs. 1, § 2 Abs. 1; ZPO § 256 Abs. 1, § 62
Verfahrensgang
ArbG Bamberg (Beschluss vom 30.03.2005; Aktenzeichen 3 BV 7/04 C) |
Tenor
1. Auf die Beschwerden der Beteiligten zu 1, 2, 3, 6, 7, 8, 13, 14, 19, 24, 26, 28 und 29 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bamberg vom 30.03.2005 – Az. 3 BV 7/04 C – abgeändert und der Antrag der Antragstellerin abgewiesen.
2. Die Beschwerden der Beteiligten zu 9, 11, 12, 15, 16, 17, 20, 21, 22, 23 und 27 werden verworfen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin und die Beteiligten streiten um die Frage, ob für den Abschluss einer Betriebsvereinbarung über Arbeitszeitfragen der Gesamtbetriebsrat (Beteiligter zu 1) oder die örtlichen Einzelbetriebsräte zuständig sind.
Die Antragstellerin betreibt ein bundesweit tätiges Versicherungsunternehmen mit der Zentrale in Coburg (Beteiligter zu 2) und mit 28 Außenstellen (Beteiligte zu 3 bis 30). In den letzten Jahren hat sie Teile ihrer Organisation geändert und ab 2004 begonnen, sogenannte Kundenbetreuungscenter (KBC) und Kundenbetreuungssatelliten (KBS) einzurichten. Während des Laufes des vorliegenden Beschlussverfahrens hat sie diese Organisationsmaßnahme abgeschlossen und 8 KBC und 7 KBS eingerichtet. Aufgrund eines gemäß § 3 BetrVG abgeschlossenen Tarifvertrags ist geregelt, dass die einzelnen KBC und KBS von jeweils einem Betriebsrat der bereits bestehenden Betriebe vertreten werden. Danach werden
das KBC Coburg vom Betriebsrat Coburg (Beteiligter zu 2) vertreten,
das KBC Hamburg durch den Betriebsrat Hamburg (Beteiligter zu 3),
das KBC Berlin durch den Betriebsrat Berlin (Beteiligter zu 7),
das KBC Dortmund durch den Betriebsrat Dortmund (Beteiligter zu 8),
das KBC Köln durch den Betriebsrat Köln (Beteiligter zu 14),
das KBC Frankfurt durch den Betriebsrat Frankfurt (Beteiligter zu 19),
das KBC Augsburg durch den Betriebsrat Augsburg (Beteiligter zu 26)
das KBC Kassel durch den Betriebsrat Kassel (Beteiligter zu 13),
der KBS Kiel durch den Betriebsrat Kiel vertreten (Beteiligter zu 5),
der KBS Hannover durch den Betriebsrat Hannover (Beteiligter zu 6),
der KBS Saarbrücken durch den Betriebsrat Saarbrücken (Beteiligter zu 24),
der KBS Würzburg durch den Betriebsrat Würzburg (Beteiligter zu 25),
der KBS Regensburg durch den Betriebsrat Regensburg (Beteiligter zu 28),
der KBS Freiburg durch den Betriebsrat Freiburg (Beteiligter zu 30) und
der KBS Stuttgart durch den Betriebsrat Stuttgart (Beteiligter zu 29).
Über die KBC und KBS will die Antragstellerin ihre Dienstleistungen den Kunden einstufig und spartenübergreifend anbieten. Dabei werden alle eingehenden Anfragen, die über die Kommunikationskanäle Brief, Fax, Telefon und E-mail an die Antragstellerin gerichtet werden, durch eine Zentrale Leitung aller KBC und KBS in Coburg zentral angenommen und über eine EDV-gestützte zentrale Lastverteilung auf die KBC und KBS im gesamten Bundesgebiet verteilt und zwar flexibel entsprechend freier Kapazitäten der jeweils besetzten Arbeitsplätze. Wegen dieses unternehmerischen Projekts „Kundenbetreuung” wurde zwischen der Antragstellerin und dem Beteiligten zu 1 am 13.11.2003 ein Interessenausgleich abgeschlossen. Die meisten Beteiligten haben den Beteiligten zu 1 zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Regelung der Arbeitszeit bev...