Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerspruch gegen Betriebsübergang. Fehlerhaftes bzw. faktisches Arbeitsverhältnis. Beginn und Beendigung des fehlerhaften bzw. faktischen Arbeitsverhältnisses

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein erst nach dem Betriebsübergang wirksam erklärter Widerspruch (§ 613a Abs. 5 u. 6 BGB) des Arbeitnehmers wirkt auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs zurück mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis mit dem früheren Arbeitgeber über den Zeitpunkt des Betriebsübergangs hinaus unverändert fortbesteht.

2. Ist der Arbeitnehmer nach einem Widerspruch zunächst für den Betriebserwerber tätig geworden, richten sich die Rechtsbeziehungen zwischen dem Arbeitnehmer und dem Betriebserwerber nach den Grundsätzen des fehlerhaften bzw. faktischen Arbeitsverhältnisses.

3. Das fehlerhafte Arbeitsverhältnis beginnt frühestens mit dem Betriebsübergang. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem der neue Inhaber die Geschäftstätigkeit tatsächlich weiterführt. Es endet mit seiner Außerfunktionssetzung. Diese ist die Folge der Beendigung der Arbeit für den Erwerber oder auch schon früher, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit aus anderen Gründen einstellt (z.B. Urlaub, Krankheit).

 

Normenkette

BGB § 613a; EFZG § 3; BGB §§ 398, 611a Abs. 1, § 615

 

Verfahrensgang

ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 16.03.2021; Aktenzeichen 14 Ca 3512/20)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 21.07.2022; Aktenzeichen 2 AZN 801/21)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 16.03.2021 - 14 Ca 3512/20 - aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.

III. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreites - beide Rechtszüge - zu tragen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Vergütungsansprüche gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht.

Der 1957 geborene Zedent war bei der Schuldnerin nach dem Arbeitsvertrag vom 29.09.2004 (Bl. 68 ff der Akte) seit 04.10.2004 als technischer Koordinator beschäftigt mit einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von 6.100,00 € zuzüglich des privaten Nutzungsvorteiles aus einem zur Verfügung gestellten Dienstwagen.

Mit Beschluss des Amtsgerichtes Ansbach, Abteilung für Insolvenzsachen vom 27.11.2018 wurde die vorläufige Insolvenzverwaltung über das Vermögen der Schuldnerin angeordnet und der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. In der Folgezeit suchte er einen Investor. Mit Beschluss des Amtsgerichtes Ansbach, Abteilung für Insolvenzsachen vom 01.02.2019 (Bl. 6 ff der Akte) wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Unternehmensübertragungsvertrag vom 06.02./07.02.2019 (Bl. 61 ff der Akte) veräußerte er das Unternehmen der Schuldnerin im laufenden Betrieb an die Beklagte. Stichtag war nach Ziffer II. des Vertrages der 01.02.2019. In Ziffer IV. des Vertrages war der Übergang der Arbeitsverhältnisse auf die Beklagte nach § 613a BGB vorgesehen. Die dort auch vereinbarte gemeinsame Information der Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 5 BGB erfolgte nicht.

Der Zedent arbeitete am 01.02.2019. Danach erlitt er einen Unfall und war jedenfalls bis einschließlich 31.03.2019 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Beklagte erteilte dem Kläger die Abrechnung der Bezüge für Februar 2019 vom 14.03.2019 (Bl. 10 der Akte), leistete aber keine Zahlung. Sie bezahlte auch den Kaufpreis für das Unternehmen nicht an den Kläger. Der Kläger trat daraufhin mit Schreiben vom 30.03.2019 vom Kaufvertrag zurück. Der Zedent widersprach dem Betriebsübergang am 01.04.2019. Die Schuldnerin erteilte dem Zedenten Abrechnung der Bezüge für März 2019 vom 15.05.2019 (Bl. 11 der Akte) und zahlte die rückständigen Gehälter für Februar und März an den Zedenten aus. Mit Abtretungsvereinbarung vom 31.07./01.08.2019 (Bl. 12 der Akte) trat der Zedent seine Nettogehaltsforderung gegen die Beklagte für die beiden Monate an den Kläger ab.

Nach fruchtlosem außergerichtlichen Schriftverkehr machte der Kläger einen Teilbetrag von 6.922,66 € aus abgetretenem Recht gegenüber der Beklagten am 30.06.2020 gerichtlich geltend.

Die Beklagte bestritt einen Übergang des Arbeitsverhältnisses des Zedenten nach § 613a BGB. Der Kläger habe auch nach dem 01.02.2019 weiter die Geschäfte der Schuldnerin geführt und habe das Weisungsrecht gegenüber den Arbeitnehmern ausgeübt. Sie machte ferner geltend, der Kläger habe auf eigene Schuld bezahlt. Mit dem fristgerechten Widerspruch des Zedenten gegen den Betriebsübergang sei das Arbeitsverhältnis des Zedenten beim Kläger verblieben und zu keinem Zeitpunkt auf die Beklagte übergegangen. Der Kläger sei Schuldner der Entgeltforderungen des Zedenten und schulde diesem Annahmeverzugslohn nach § 615 BGB. Die Gehaltszahlungen des Klägers seien auf eigene Schuld des Klägers erfolgt, nicht auf Schuld der Beklagten. Es habe kein "faktisches Arbeitsverhältnis" zwischen dem Zedenten und der Beklagten bestanden. Es sei auch mit Nichtwissen zu bestreiten, dass der Zedent sein...

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