Entscheidungsstichwort (Thema)
Urlaub. Arbeitsunfähigkeit. Verfall
Leitsatz (amtlich)
1. § 26 Abs. 2 TVöD enthält eine eigenständige Regelung darüber, bis zu welchem Zeitraum ein ins nächste Kalenderjahr übertragener Urlaubsanspruch im Falle der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers angetreten sein muss. Die Regelung ist als konstitutiv anzusehen; insoweit besteht eine Abweichung zu § 7 Abs. 3 BUrlG mit der Folge, dass der tarifliche Mehrurlaub verfällt, wenn er – und sei es wegen Arbeitsunfähigkeit – nicht spätestens am 31.05. des Folgejahres angetreten wird.
2. Steht fest, dass die Tarifparteien in einem bestimmten Punkt bewusst eine vom BUrlG abweichende Regelung getroffen haben, kommt es auf die Frage, ob sie ein „eigenständiges Urlaubsregime” geregelt haben, nicht an (insoweit möglicherweise abweichend von BAG vom 23.03.2010, 9 AZR 128/09).
Normenkette
TVöD § 26 Abs. 2; BUrlG § 7 Abs. 3; EGRL 88/2003
Verfahrensgang
ArbG Nürnberg (Urteil vom 13.04.2011; Aktenzeichen 11 Ca 6191/10) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 13.04.2011, Az. 11 Ca 6191/10, wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
II. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Pflicht eines ehemaligen Arbeitgebers, Urlaubsabgeltung an eine Arbeitnehmerin zu zahlen, deren Arbeitsverhältnis nach dem TVöD wegen Bewilligung unbefristeter voller Erwerbsminderungsrente beendet worden ist.
Die im Jahr 1952 geborene, bei der Beklagten seit 01.11.1980 als Angestellte beschäftigte Klägerin war ab 20.03.2006 durchgehend arbeitsunfähig. Vom 01.06.2007 bis 31.03.2010 wurde ihr von der Deutschen Rentenversicherung befristet Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt. Mit Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 20.01.2010 wurde ihr eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannt. Seit 30.03.2006 ist die Klägerin als schwerbehindert mit einem Behindertengrad von 70 anerkannt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft Vereinbarung die jeweils gültigen Tarifverträge des TVöD oder die jeweils diese ersetzenden Tarifverträge Anwendung.
Die Klägerin ließ mit Schreiben ihrer Prozessvertreter vom 26.08.2009 geltend machen, dass ihre Urlaubsansprüche aus den Jahren 2005 und 2006 nicht verfallen und daher abzugelten seien. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 24.09.2009 dahingehend, dass der Klägerin aus dem Jahr 2005 noch 21 Tage Resturlaub, aus 2006 noch 30 Tage Resturlaub zuständen. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, dass die Ansprüche bei Arbeitsunfähigkeit nicht verfielen, beziehe sich aber nur auf den gesetzlichen Mindesturlaub. Der Klägerin ständen also nur 40 Tage Resturlaub zu, die aber erst bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis abgegolten werden könnten (Anlage zur Klageschrift, Bl. 4 f. d.A.). Auf weitere Anfrage der Prozessvertreter der Klägerin aus dem Jahr 2009 antwortete die Beklagte, der Klägerin ständen einschließlich des anteiligen Zusatzurlaubs für Schwerbehinderte für 2006 noch 24 Tage Urlaub zu, darüber hinausgehender tariflicher Urlaub sei verfallen. Für 2007 sei der Urlaubsanspruch einschließlich des Zusatzurlaubs im Hinblick auf das Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen der bewilligten Erwerbsminderungsrente zu kürzen, so dass nur noch 10 Tage offenständen. Für 2005 seien allenfalls noch 20 Tage offen. Jeglicher tariflicher Mehrurlaub sei verfallen (Anlage B 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 09.11.2010, Bl. 15 f. d.A.).
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte die Beklagte Urlaubsabgeltung für 54 Tage in Höhe von je 101,99 EUR brutto pro Urlaubstag an die Klägerin. Mit Schreiben vom 11.05.2010 machte die Klägerin über ihre Prozessvertreter die Abgeltung von 61 Tagen – abzüglich der bereits berücksichtigten 54 Tage – geltend. Die Beklagte wies die Forderung zurück.
Mit ihrer am 04.10.2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen, der Beklagten ausweislich der Postzustellungsurkunde am 12.10.2010 zugestellten Klage macht die Klägerin die Abgeltung weiterer 17 Urlaubstage geltend. Ihr stehe entgegen der Auffassung der Beklagten für die Jahre 2005 und 2006 neben dem gesetzlichen Urlaubsanspruch auch der tarifliche Mehrurlaub zu. Der Europäische Gerichtshof habe in seiner Entscheidung vom 20.01.2009 ebenso wie das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 24.03.2009 diesbezüglich nicht differenziert. Auch der über den europarechtlich und bundesgesetzlich garantierten Mindesturlaub hinausgehende Mehrurlaub könne bei Arbeitsunfähigkeit nicht verfallen. Es errechne sich ein noch zum Ende des Arbeitsverhältnisses noch offener Anspruch von insgesamt 71 Tagen, den die Beklagte mit der Zahlung für 54 Tage nicht vollständig erfüllt habe. Die Beklagte schulde daher – unter Berücksichtigung des von der Beklagten zugrunde gelegten Tagesentgelts von 101,99 EUR brutto – eine Zahlung von 1.733,83 EUR brutto.
Die Klägerin hat daher erstinstanzlich beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Urlaubsvergütung für 17 Ta...