Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung. Wohnsitzverlegung. Auflösungsantrag des Arbeitgebers
Leitsatz (amtlich)
1. Auch wenn sich der Arbeitnehmer im Anstellungsvertrag verpflichtet, seinen Hauptwohnsitz mit Familie in der Nähe des Betriebes zu nehmen, berechtigt dies den Arbeitgeber selbst dann nicht zur Anfechtung des Arbeitsvertrages nach § 123 BGB, wenn diese Absicht nie bestand, weil diese Verpflichtung zumindest dann, wenn es nachvollziehbare in Zusammenhang mit der Arbeitsleistung stehende Gründe hierfür nicht gibt, rechtlich nicht bindend ist. Insoweit gelten die für das Fragerecht des Arbeitgebers bei Vertragsschluss entwickelten Grundsätze entsprechend.
2. Beruft sich der Arbeitgeber darauf, die Vorgesetzten und Kollegen des Arbeitnehmers wollten mit diesem nicht mehr zusammenarbeiten, genügt dies für Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG und für die Auflösung nach § 9 KSchG nur dann, wenn solche Äußerungen im zeitlichen Zusammenhang mit der Kündigung gefallen sind und wenn der Arbeitgeber ernsthaft mit der Abkehr dieser Mitarbeiter im Fall des Weiterarbeitens des Klägers rechnen müsste. Erforderlich ist auch, dass der Arbeitgeber zunächst versucht hat, einen Ausgleich mit den Mitarbeitern zu schaffen.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2; BGB § 123; GG Art. 1-2; KSchG § 9; ZPO § 321
Verfahrensgang
ArbG Würzburg (Urteil vom 09.07.2002; Aktenzeichen 9 Ca 1397/01 A) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg, Kammer Aschaffenburg, vom 09.07.2002, Az. 9 Ca 1397/01 A, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die Anfechtung des Arbeitsvertrages und die Auflösung durch gerichtliche Gestaltungsentscheidung.
Der am 06.09.1948 geborene Kläger wurde mit Arbeitsvertrag vom 07.03.1995 ab 01.04.1995 als Projektmanager bei der Beklagten eingestellt. Er bezog ein Bruttomonatsgehalt von 7.000,– DM zuzüglich einer Erfolgsbeteiligung in Höhe von zunächst mindestens 30.000,– DM, höchstens 100.000,– DM jährlich. Es war ihm ein Dienst-Pkw zur Privatnutzung zur Verfügung gestellt. Vereinbart ist nach Ablauf der am 30.09.1995 endenden Probezeit eine Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende. In § 6 des Anstellungsvertrages, dessen genauen Wortlautes wegen auf die mit Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 14.12.2001 vorgelegte Ablichtung Bezug genommen wird (Bl. 158 ff. d.A.), ist unter anderem folgendes festgehalten:
„(3) Der Mitarbeiter verpflichtet sich, seinen Hauptsitz nach Beendigung der Probezeit in die Nähe des Arbeitsplatzes zu verlegen. B. beteiligt sich an den Umzugskosten bis zu 3.000,– DM gegen Nachweis.
(4) B. erstattet bei betrieblicher Veranlassung die Reisekosten nach den steuerlichen Richtlinien.”
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 14.12.2000 mit Wirkung zum 31.03.2001. Die gegen diese Kündigung gerichtete Klage des Klägers wurde beim Arbeitsgericht Würzburg, Kammer Aschaffenburg, unter dem Aktenzeichen 6 Ca 2048/00 A geführt. In der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2001 nahm die Beklagte die Kündigung zurück. Der Kläger nahm daraufhin seine seit 30.04.2001 unterbrochene Tätigkeit für die Beklagte am 15.05.2001 wieder auf.
Nachdem zwischen den Parteien Streit über die Höhe der von der Beklagten geschuldeten Erfolgsbeteiligung und weiterer Zahlungsansprüche des Klägers entstanden war, erhob der Kläger eine am 07.02.2001 beim Arbeitsgericht Würzburg, Kammer Aschaffenburg, eingegangene Klage, die dort unter dem Aktenzeichen 5 Ca 203/01 geführt wurde. Sie ist derzeit – ursprüngliches Aktenzeichen 3 Sa 877/01 – beim Landesarbeitsgericht Nürnberg unter dem Aktenzeichen 6 (3) Sa 877/01 anhängig.
Die Beklagte erteilte dem Kläger unter dem 22.01.2001 ein Zwischenzeugnis. Der Kläger, der mit dessen Inhalt nicht einverstanden war, erhob unter dem 14.03.2001 eine hiergegen gerichtete Klage, die beim Arbeitsgericht Würzburg, Kammer Aschaffenburg, unter dem Aktenzeichen 9 Ca 430/01 geführt wurde. Sie ist derzeit beim Landesarbeitsgericht Nürnberg unter dem Aktenzeichen 6 Sa 84/03 anhängig.
Die Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 17.05.2001 auf, seinen Hauptwohnsitz in die Nähe seines Arbeitsplatzes zu verlegen, mahnte den Kläger mit Schreiben vom 13.06.2001 wegen der Nichtverlegung seines Wohnsitzes ab. Der Kläger erhob unter dem 19.06.2001 eine Feststellungsklage des Inhalts, dass er hierzu nicht verpflichtet sei. Er erweiterte diese Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Entfernung der Abmahnung vom 13.06.2001 aus den Personalakten und auf Feststellung, dass diese Abmahnung unwirksam sei. Diese Klage wurde beim Arbeitsgericht Würzburg, Kammer Aschaffenburg, unter dem Aktenzeichen 5 Ca 1088/01 A geführt. Sie ist derzeit – ursprüngliches Aktenzeichen 3 Sa 1072/01 – unter dem Aktenzeichen 6 (3) Sa 877/01 beim Landesarbeitsgericht Nürnberg anhängig.
Die Beklagte führte mit Schreiben vom 22.05.2001 ein geändertes Modell der Erfo...