Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung. Äußerungen eines Arbeitnehmers zu den Anschlägen am 11. September 2001. Störung des Betriebsfriedens. Verhaltensbedingte Kündigung. Auswirkung auf das künftige Arbeitsverhältnis
Leitsatz (amtlich)
1. Die Äußerungen eines aus dem Libanon stammenden Arbeitnehmers während des Ansehens der Fernsehbilder vom Terroranschlag vom 11. Sept. 2001 im Aufenthaltsraum zu Kollegen sind als Grund für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung nicht geeignet, wenn sie größere Störungen des Betriebsfriedens nicht verursacht haben.
2. Die Äußerungen, „die Anschläge seien zu begrüßen, damit die Amerikaner wüssten, wie Krieg im eigenen Land sei,” und „hierfür seien noch viel zu wenige Menschen umgekommen” zeigen auch keine derart menschenverachtende Gesinnung, dass man bei einem Pflegehelfer im Krankenhaus auf die Gefahr schließen könnte, dieser würde sich gegenüber amerikanischen Patienten in irgendeiner Weise negativ verhalten. Der Wegfall des Vertrauens in den Arbeitnehmer erscheint hierdurch nicht gerechtfertigt.
3. Die Äußerungen rechtfertigen selbst dann keinen Auflösungsantrag, wenn sie in der Öffentlichkeit bekannt geworden sind. Die behaupteten Gefahren, das Klinikum einer Großstadt erhalte hierdurch ein negatives Image und amerikanische Patienten könnten sich hierdurch abgeschreckt fühlen, erscheinen ohne das Hinzutreten weiterer Umstände als zu abstrakt.
Normenkette
BGB § 626; KSchG § 1 Abs. 2, § 9
Verfahrensgang
ArbG Nürnberg (Urteil vom 29.11.2002; Aktenzeichen 10 Ca 8775/01) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers hin wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg, vom 29.11.2002, Az. 10 Ca 8775/01, teilweise abgeändert.
II. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Beklagten durch die Kündigung vom 19.09.2001 weder mit sofortiger Wirkung noch fristgerecht aufgelöst worden ist.
III. Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.
IV. Die Beklagte hat den Kläger bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Kündigung nach Ziff. II als Pflegehelfer im Krankenhaustransportdienst weiterzubeschäftigen.
V. Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
VI. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
VII. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung wegen bejahender Äußerungen des Arbeitnehmers zu den Anschlägen vom 11. September 2001 und über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Gerichtsentscheidung.
Der am 01.05.1957 geborene Kläger, der aus dem Libanon stammt, ist seit 18.04.1988 bei der Beklagten als Pflegehelfer im Krankentransportdienst beschäftigt. Er ist verheiratet und für Ehefrau und fünf Kinder unterhaltspflichtig. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung die Bestimmungen des Bundesangestelltentarifvertrages Anwendung. Der Kläger erhielt nach eigenen Angaben zuletzt ein Bruttoentgelt von durchschnittlich 3.249,60 EUR monatlich, nach Angaben der Beklagten von 3.016,62 EUR.
Am 11. September 2001 sah der Kläger zusammen mit einigen Kollegen während der Dienstzeit im Aufenthaltsraum im Fernsehen die Bilder vom Anschlag auf das World Trade Center. Hierbei äußerte er sich in einer Weise, die von den Kollegen als Zustimmung zu den Anschlägen interpretiert wurde. Die genauen Einzelheiten der klägerischen Äußerungen sind zwischen den Parteien umstritten. Die angeblichen Äußerungen des Klägers wurden im Betrieb verbreitet.
Die Beklagte erteilte dem Kläger mit Schreiben vom 14.09.2001 Hausverbot. Sie kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 19.09.2001 außerordentlich mit sofortiger Wirkung, hilfsweise ordentlich mit Ablauf des 31.03.2002. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am selben Tag zu.
Mit seiner am 05.10.2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit dieser Kündigung geltend gemacht. Er hat erklärt, er habe im Rahmen der angesichts der Fernsehbilder entstandenen Diskussion erklärt, dass nunmehr auch die Amerikaner spürten, wie es sei, wenn Krieg sei. Eine Störung des Betriebsfriedens sei hierdurch nicht entstanden. Die Ordnungsmäßigkeit der Personalratsanhörung werde mit Nichtwissen bestritten. Wegen der Unwirksamkeit der Kündigung müsse ihn die Beklagte bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung weiterbeschäftigen.
Der Kläger hat im Verfahren vor dem Arbeitsgericht daher folgende Anträge gestellt:
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 19.09.2001 weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst ist, sondern unverändert fortbesteht.
Für den Fall des Obsiegens in Ziff. 1:
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung als Pflegehelfer im Krankenhaustransportdienst weiterzubeschäftigen.
Hilfsweise für den Fall der Abweisung des Weiterbeschäftigungsantrags:
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zur Rechtskraft der Ents...