Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Weiß der Gemeinderat, daß der erste Bürgermeister einem Rechtsanwalt Prozeßvollmacht zur Durchführung eines im Namen der Gemeinde zu führenden Berufungsverfahrens erteilt hat, und nimmt er dies hin, ohne den Rechtsanwalt auf eventuelle Beschränkungen der Vertretungsmacht des Bürgermeisters hinzuweisen, dann liegt nach den Grundsätzen der Duldungs- bzw. Anscheinsvollmacht eine die Gemeinde bindende unbeschränkte Prozeßvollmacht gemäß § 81 ZPO vor.

2. Art. 38 Abs. 2 Satz 1 BayGO beinhaltet kein konstitutives Schriftformerfordernis für die Erteilung einer Prozeßvollmacht. Eine mündlich vom ersten Bürgermeister erteilte Prozeßvollmacht ist damit wirksam.

3. Schließt der vom ersten Bürgermeister bevollmächtigte Rechtsanwalt vor dem Landesarbeitsgericht einen Vergleich im Namen der Gemeinde ab, so entfaltet dieser Vergleich materiell- und prozeßrechtliche Wirksamkeit auch für den Fall, daß dem Bürgermeister nach den Regelungen der Bayerischen Gemeindeordnung die Vertretungsmacht für ein Rechtsgeschäft dieses Inhalts fehlt.

4. Damit kann unentschieden bleiben, ob Art. 38 Abs. 1 BayGO dahingehend auszulegen ist, daß dem ersten Bürgermeister generell für alle Rechtsgeschäfte Vertretungsmacht (im Außenverhältnis) verliehen ist.

 

Normenkette

BayGO Art. 37-38, 43; ZPO §§ 81, 83; BGB § 180 S. 2, § 177 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Würzburg (Urteil vom 24.02.1994; Aktenzeichen 5 Ca 1654/93 A)

 

Tenor

1. Der Rechtsstreit ist durch den Vergleich vom 26.06.1995 erledigt.

2. Die Beklagte hat die durch den Verfahrensfortsetzungsantrag entstandenen weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des am 26.06.1995 vor dem Landesarbeitsgericht Nürnberg geschlossenen Vergleichs.

Der Kläger war bei der Beklagten, einer bayerischen Gemeinde mit rund 7000 Einwohnern, seit 01.09.1985 – zuletzt als Leiter der kommunalen Musikschule – beschäftigt. Nach der gemeindlichen Geschäftsordnung, einer Richtlinie im Sinn des Art. 37 Abs. 1 Satz 2 Bayerische Gemeindeordnung (BayGO), ist die Verfügungsbefugnis des ersten Bürgermeisters auf DM 10.000,– begrenzt. Mit Schreiben vom 24.08.1993 kündigte die Beklagte aus betriebsbedingten Gründen zum 30.09.1993. Mit der daraufhin zum Arbeitsgericht Würzburg erhobenen Kündigungsschutzklage wandte sich der Kläger gegen diese Kündigung. Mit Endurteil vom 24.02.1994 gab das Arbeitsgericht der Klage statt. Der erste Bürgermeister der Beklagten, die rechtsschutzversichert ist, beauftragte mündlich die Rechtsanwälte K. mit der Durchführung des Berufungsverfahrens. Dem Gemeinderat der Beklagten war bekannt, daß Berufung durch Rechtsanwälte eingelegt worden ist. Über den Fortgang des Rechtsstreits wurde der Gemeinderat jeweils durch den ersten Bürgermeister informiert. In der Sitzung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 26.06.1995 waren für die Beklagte der erste Bürgermeister und Rechtsanwalt K. anwesend. Rechtsanwalt K. schloß im Namen der Beklagten folgenden Vergleich:

  1. Es bleibt bei der ordentlichen betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung zum 30.09.1993.
  2. Als Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes zahlt die Beklagte an den Kläger einen Betrag in Höhe von DM 31.000,–.
  3. Damit sind alle gegenseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und anläßlich dessen Beendigung abgegolten und erledigt.
  4. Bei der Kostenentscheidung erster Instanz hat es sein Bewenden. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

In der Gemeinderatssitzung vom 14.07.1995 lehnte der Gemeinderat mehrheitlich den Vergleich ab.

Mit Schriftsatz vom 21.08.1995 macht die Beklagte die Nichtigkeit des. Vergleichs geltend. Sie meint, daß der erste Bürgermeister keine unbeschränkte Vollmacht habe erteilen dürfen, da seine eigene Verfügungsbefugnis auf DM 10.000,– begrenzt sei. Da der Gemeinderat den Vergleich, dem eine Doppelnatur zukomme, nachträglich auch nicht genehmigt habe, sei der materiellrechtliche Vergleichsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Dies führe zur Nichtigkeit des gesamten Geschäfts.

Die Beklagte beantragt,

das Verfahren fortzusetzen.

Der Kläger beantragt ein Prozeßurteil dahingehend, daß

der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 26.06.1995 erledigt ist.

Er meint, daß der Vergleich aufgrund der unbeschrankten Prozeßvollmacht wirksam vereinbart worden sei.

Von einer weiteren Darstellung des Tatbestands wird abgesehen (§§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 543 Abs. 1 ZPO).

 

Entscheidungsgründe

I.

Der von der Beklagten gestellte Antrag, das ursprüngliche Verfahren fortzusetzen, ist zulässig, da sie den Antrag mit der Unwirksamkeit des am 26.06.1995 geschlossenen Prozeßvergleichs begründet (h.M., z. B. Zöller, ZPO-Kommentar, 19. Auflage, Rdnr. 15 a zu § 794 m.w.N.).

II.

Der ursprüngliche Rechtsstreit ist jedoch durch den Prozeßvergleich beendet worden. Der Prozeßvergleich ist wirksam.

1. Nach herrschender Meinung ist ein Prozeßvergleich sowohl Prozeßhandlung als auch materielles Rechtsgeschäft (sog. Doppelnatur, n.M., z. B...

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