Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtswidrigkeit einseitiger Suspendierung von der Arbeitspflicht wegen beleidigender Briefe der Ehefrau des Arbeitnehmers an dessen Arbeitgeber. Eilantrag auf tatsächliche Beschäftigung im ungekündigten Arbeitsverhältnis
Leitsatz (amtlich)
Im ungekündigten Arbeitsverhältnis besteht in der Regel ein Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung; der Verfügungsgrund ergibt sich aus dem drohenden Rechtsverlust, da die tatsächliche Beschäftigung eine Fixschuld ist, die nicht nachgeholt werden kann (a. A.: LAG Nürnberg vom 18.09.2007, 4 Sa 586/07).
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine einseitige Suspendierung des Arbeitnehmers ohne vertragliche Vereinbarung ist grundsätzlich rechtwidrig; der Beschäftigungsanspruch muss nur dann zurücktreten, wenn überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen.
2. Dem Arbeitnehmer sind Briefe seiner Ehefrau an seinen Arbeitgeber nicht zuzurechnen, da er nicht für das Handeln seiner Ehefrau einzustehen hat und dafür auch nicht verantwortlich ist; das gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer sich die Ausführungen seiner Ehefrau nicht zu eigen macht.
3. Auch wenn Briefe der Ehefrau eines Arbeitnehmers an dessen Arbeitgeber die Integrität und das Ansehen des Geschäftsführers berühren, wird dadurch der Betriebsfrieden nicht beeinträchtigt, wenn ein Anteil des Arbeitnehmers an den Briefen seiner Ehefrau nicht erkennbar ist; ein solcher Anteil ergibt sich auch nicht daraus, dass der Arbeitnehmer sich weigert, den Inhalt der Briefe zur Kenntnis zu nehmen und in irgendeiner Weise auf seine Ehefrau einzuwirken, da die dem Grunde nach bestehende Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber nicht verlangt, dass der Arbeitnehmer sich in irgendeiner Form gegen seine Ehefrau entscheidet.
Normenkette
ZPO §§ 935, 940; BGB §§ 611, 242; GG Art. 1-2, 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1; BGB § 241 Abs. 2, § 611 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Würzburg (Entscheidung vom 15.07.2015; Aktenzeichen 10 Ga 6/15) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg - Kammer Aschaffenburg - vom 15.07.2015 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Weiterbeschäftigung.
Der Antragsteller ist seit 01.09.1981 beim Antragsgegner beschäftigt. Seit 01.03.2011 ist er als Beauftragter für Sonderaufgaben im Rettungsdienst tätig.
Unmittelbarer Vorgesetzter des Antragstellers ist der Kreisgeschäftsführer, Herr E....
Die Ehefrau des Antragstellers richtete unter dem 08.06.2015 zwei gleichlautende Schreiben an den Vorsitzenden des B... Kreisverbands, Herrn Dr. T..., und an den Schatzmeister des B... Kreisverbands, Herrn R....
In den Schreiben heißt es auszugsweise:
Als erster Vorsitzender des B... bzw. als Schatzmeister des B... schauen Sie bzw. schaust Du tatenlos dem "Mord" an meinem Mann zu. Ich vergleiche das damit, wie in der U-Bahn-Station ein Mensch zu Tode geprügelt und getreten wird, Sie aber greifen bzw. Du greifst nicht ein.
Der Kreisgeschäftsführer, Herr E..., führt einen persönlichen Vernichtungskrieg gegen meinen wehrlosen Gatten. Dass er dabei Zwängen unterliegt, ist schlichtweg eine Lüge. Recherchen bei verschiedenen Stellen ergaben, dass die Initiative stets von Herrn E... ausging und die vorgesetzten Stellen nichts davon wussten. ... Herr E... fährt eine Retourkutsche nach der anderen, die Gründe sind für mich eigentlich klar. Mein Mann hat immer sehr genau, korrekt und konsequent gearbeitet. Und gerade die Korrektheit wurde ihm von Herrn E... teilweise sehr übel genommen. Dafür nimmt er jetzt Rache. ... Dass ein Mensch vernichtet wird? Stuffit!
Jetzt treibt Herr E... einen Sargnagel nach dem anderen ein. Mehrmals war mein Ehemann nach Meinung sämtlicher Ärzte soweit, dass er sehr gute Aussichten auf Genesung hatte. Herr E... fährt dann stets ein neues Geschütz auf und hat auch Erfolg damit. Bei jeder Attacke verschlechtert sich der Zustand meines Mannes dramatisch und zwischenzeitlich befindet er sich in akuter Lebensgefahr. In den letzten Jahren hat ihn stets der Gedanke motiviert, bald wieder an seinem Arbeitsplatz zu sitzen und ein weitestgehend normales Leben zu führen. Aber das wusste Herr E... zu verhindern. Wenn mein Gatte arbeitsfähig und an seinem Arbeitsplatz war, wurde ihm systematisch die Arbeit verweigert. Er musste oft sehen, wie er die Zeit totschlägt. Das war bestimmt die "Fürsorgepflicht" des Kreisgeschäftsführers - ich nenne das Mobbing.
...
Mein Gatte würde gern im Juli seinen 60. Geburtstag feiern. Ob das möglich ist, und ob er, wie er es sich sehr wünschen würde, an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann, steht in den Sternen. Sie jedoch können sich gratulieren und eine Flasche Champagner leeren, dass Sie das "sozialverträgliche Ableben" meines Mannes tagtäglich vorantreiben/Du jedoch kannst Dir gratulieren und eine Flasche Champagner leeren, dass Du das "sozialverträgliche Ableben" meines Mannes tagtäglich vorantreibst.
In einem Schreiben vom 26.06.2015 an den Antragsteller führte Herr E... u...