Entscheidungsstichwort (Thema)
Persönlicher Anwendungsbereich des AGG. Geltung der Schutzvorschriften des SGB IX für Gleichgestellte
Leitsatz (amtlich)
Der Kläger begehrt einen Entschädigungsanspruch nach AGG, da die Schwerbehindertenvertretung vor Abschluss des Bewerbungsverfahrens nicht durch die Beklagte beteiligt wurde. Bei der vorliegenden Konstellation war die Schwerbehindertenvertretung jedoch nicht zu beteiligen, da der Kläger lediglich einen GdB von 40 hat und über seinen Gleichstellungsantrag im Zeitpunkt des Abschlusses des Bewerbungsverfahrens noch nicht entschieden war.
Leitsatz (redaktionell)
1. Ob der persönliche Geltungsbereich des AGG für ein Beschäftigungsverhältnis i.S.d. § 26 BBiG eröffnet ist, bleibt unentschieden. Wird im Rahmen eines Fördervertrags eine monatliche Praktikumsvergütung gewährt und dient die Maßnahme dem Erwerb zusätzlicher Berufserfahrung, ist in der Regel von einem Arbeitsverhältnis mit entsprechender Verpflichtung zur Entgeltzahlung und damit auch vom persönlichen Geltungsbereich des AGG auszugehen.
2. Für behinderte Arbeitnehmer oder Bewerber mit einem Grad der Behinderung von unter 50 Prozent finden die §§ 164 ff. i.V.m. § 178 Abs. 2 SGB IX nur Anwendung, wenn diese Personen mindestens einen Grad der Behinderung von 30 Prozent haben und über einen Antrag auf Gleichstellung im Zeitpunkt der Bewerberentscheidung oder der vermeintlich benachteiligenden Handlung positiv entschieden wurde. Eine vorsorgliche Beteiligungspflicht der Schwerbehindertenvertretung regelt § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nicht.
Normenkette
AGG § 3 Abs. 1, §§ 6, 7 Abs. 1, § 15 Abs. 2, § 22; SGB IX § 151 Abs. 2, §§ 164, 178 Abs. 2; BBiG § 26; AGG § 1
Verfahrensgang
ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 28.04.2021; Aktenzeichen 13 Ca 4560/20) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 28.04.2021, Aktenzeichen: 13 Ca 4560/20, wird auf Kosten des Berufungsführers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die beklagte Körperschaft des öffentlichen Rechts dem Kläger eine Entschädigung zu zahlen hat, weil sie ihn bei der Aufnahme in ein Förderprogramm für Studierende wegen seiner Behinderung benachteiligt hat.
Der am 11.09.1994 geborene und ausweislich des Bescheids des Landratsamtes vom 04.06.2019 mit einem Grad von 40 behinderte Kläger ist seit mehreren Umschulungen als Verwaltungsfachangestellter, als Referent Gesundheitstourismus und als Meister für Bäderbetriebe nach über 1200 erfolglosen Bewerbungen derzeit Studierender an der Hochschule F... im Fachbereich Sozialrecht. Mit Schreiben vom 31.07.2020 und Antrag vom 08.08.2020 stellte der Kläger einen Gleichstellungsantrag bei der Agentur für Arbeit in S. Mit Bescheid vom 10.09.2020 wurde die Gleichstellung rückwirkend zum 31.07.2020 bewilligt. Gleichstellungsanträge aus den Jahren 2012 und 2018 des Klägers waren abgelehnt worden.
Die Dienststellen der Beklagten in K... und in B... F... schrieben eine Stelle im Rahmen ihres Förderprogramms für Studierende aus mit den Einsatzorten B..., F... und Fr... Die Beklagte fördert Teilnehmer des Programms mit einem monatlichen Betrag in Höhe von 880,00 € brutto und bietet für Zeiten der betrieblichen Praxis eine monatliche Praktikumsvergütung in Höhe von 1.570,00 € brutto an.
Der Kläger bewarb sich hierauf am 28.07.2020. Mit Schreiben vom 04.08.2020 wurden der Kläger und zwei weitere Bewerberinnen zu Auswahlgesprächen am 12.08.2020 in die Agentur für Arbeit in F... eingeladen. In seinem Vorstellungsgespräch wies der Kläger auf seine Behinderung hin und dass er im Juli 2020 einen Gleichstellungsantrag gestellt habe, um dessen dringliche Bearbeitung er im Vorstellungsgespräch bat.
Am 17.08.2020 sagte die Beklagte dem Kläger telefonisch ab.
Mit Schreiben vom 23.08.2020 reichte der Kläger zunächst eine auf eine Einstellung auf einen Förderstudienplatz an den ausgeschriebenen Standorten der Beklagten in F.., K... und Fr... und B... gerichtete Klage beim Arbeitsgericht Nürnberg ein. Mit Schreiben vom 30.08.2020 beantragte der Kläger, die Beklagte zu einer Einstellung des Klägers oder zu Schadensersatz in angemessener Höhe zu verurteilen. Mit Schreiben vom 05.11.2020 beantragte der Kläger eine Entschädigung in Höhe von mindestens 5.000,00 €.
Hinsichtlich des streitigen erstinstanzlichen Sachvortrags sowie des gestellten Klageantrags wird auf den Tatbestand der angegriffenen Entscheidung verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass der Kläger keinen ausreichenden Vortrag dazu geleistet habe, dass der persönliche Anwendungsbereich des AGG eröffnet sei. Der Kläger habe nicht vorgetragen, dass er sich für ein Beschäftigungsverhältnis beworben habe. Die Förderung eines Studienplatzes stelle keine Beschäftigung im Sinne des § 6 AGG dar, auch nicht eine Beschäftigung zur Berufsausbildung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 AGG, denn ein Hochschulstudium diene...