Entscheidungsstichwort (Thema)
Religiöse Benachteiligung durch Kopftuchverbot. rechtswidrige Weisung an eine Kassiererin in einem Drogeriemarkt zur Arbeitsaufnahme ohne Kopftuch
Leitsatz (amtlich)
Das Verbot, während der Arbeitszeit aus religiösen Gründen ein Kopftuch zu tragen, stellt eine mittelbare Diskriminierung im Sinne des § 3 Absatz 2 AGG dar. Darüber hinaus beeinträchtigt das Kopftuchverbot die Religionsfreiheit im Sinne des Art. 4 GG. Insofern hat eine Abwägung mit den sich aus Art. 12 und 2 GG ergebenden Grundrechten des Arbeitgebers zu erfolgen. Bei der Auslegung des § 106 GewO steht Gemeinschaftsrecht der Anwendung der Grundrechte nach dem Grundgesetz nicht entgegen.
Normenkette
GewO § 106; AGG §§ 3, 1; GG Art. 4 Abs. 1-2, Art. 12, 2, 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; AGG § 3 Abs. 2, § 7 Abs. 1-2; GewO § 106 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 28.03.2017; Aktenzeichen 8 Ca 6967/14) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 28.03.2017 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Anweisung.
Die Beklagte betreibt bundesweit eine Drogeriemarktkette.
Die Klägerin ist seit 02.11.2002 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis liegt ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 15.06.2004 zugrunde. Danach ist die Klägerin als "Verkaufsberater und Kassierer" in der Filiale in A... tätig.
Die Klägerin befand sich vom 04.12.2011 bis 07.10.2014 in der Elternzeit.
Einige Tage vor der Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit bei der Beklagten erschien die Klägerin im Betrieb. Sie trug, anders als vor der Elternzeit, ein Kopftuch. Die Filialleiterin, Frau P..., wies die Klägerin darauf hin, dass man sie nicht beschäftigen werde, wenn sie ein Kopftuch trage.
Am 12.11.2014 erhob die Klägerin die vorliegende Klage zum Arbeitsgericht Nürnberg. Sie stellte zuletzt folgenden (Haupt)Antrag:
Es wird festgestellt, dass die Weisung der Beklagten an die Klägerin, nach dem die Klägerin entsprechend der Kleiderordnung und ohne auffällige großflächige religiöse, politische und sonstige weltanschauliche Zeichen am Arbeitsplatz zu erscheinen und ihre Arbeit aufzunehmen hat, unwirksam ist.
Darüber hinaus machte die Klägerin für den Zeitraum Juni 2016 bis Januar 2017 Entgeltansprüche und Urlaubsgeld sowie den pauschalen Schadensersatz gemäß § 288 Absatz 5 Satz 1 BGB geltend.
Mit Endurteil vom 28.03.2017 gab das Arbeitsgericht der Feststellungsklage im Hauptantrag statt. Gleichzeitig verurteilte es die Beklagte zu den beantragten Zahlungen mit Ausnahme des jeweils geltend gemachten pauschalen Schadensersatzanspruchs nach § 288 Absatz 5 Satz 1 BGB. Insoweit wies es die Klage ab.
Das Urteil wurde der Beklagten am 16.08.2017 zugestellt.
Die Beklagte legte gegen das Urteil am 01.09.2017 Berufung ein und begründete sie am 13.11.2017. Bis dahin war die Berufungsbegründungsfrist verlängert worden.
Die Beklagte führt aus, sie beschäftige insgesamt 14.794 Mitarbeiter aus 88 Nationen. In ihrem Unternehmen träfen daher ein Vielzahl von Kulturen und Religionen aufeinander. Damit sich die Mitarbeiter nicht durch andere Mitarbeiter in ihrer religiösen Überzeugung verletzt sähen und es hierdurch zu (vermeidbaren) Konflikten komme, bestehe die Verpflichtung, auf auffällige Symbole aller Art zu verzichten. Die Beklagte trägt vor, es habe in der Vergangenheit bereits verschiedene Konflikte zwischen Mitarbeitern gegeben. Beispielsweise habe es einen Bewerber gegeben, der sich aus religiösen Gründen geweigert habe, ihrer Mitarbeiterin Frau V... die Hand zu geben, weil sie eine Frau sei. Einem Mitarbeiter sei nach einem Arbeitsunfall ein Weinpaket mit einer Genesungskarte geschickt worden. Da er gläubiger Moslem gewesen sei, habe er das Geschenk zunächst als Beleidigung aufgefasst. In einem weiteren Fall habe eine Mitarbeiterin keine Spielsachen kommissionieren wollen, mit denen man Krieg spielen könne. Sie habe dies damit begründet, dass sie Zeugin Jehovas sei.
Im Verkauf bestehe zusätzlich das Ziel, dass sich Kunden in ihrer religiösen Überzeugung nicht verletzt sähen und aus diesem Grund ihr Unternehmen nicht mehr aufsuchten.
Die Beklagte trägt vor, bei ihr bestehe seit jeher ein Kleiderordnung mit folgender Regelung:
Wir legen größten Wert auf ein gepflegtes, professionelles Erscheinungsbild gegenüber unseren Kunden. Als Arbeitskleidung ist die für den jeweiligen Bereich vorgesehene Berufskleidung (z.B. weißer Berufsmantel) zu tragen. Legere Freizeitbekleidung, wie insbesondere Trainings- bzw. Jogginganzüge sowie Kopfbedeckungen aller Art dürfen bei Kundenkontakt nicht getragen werden.
Im Hinblick auf die Schlussanträge der Generalanwältin beim Europäischen Gerichtshof vom 31.05.2016 habe sie eine unternehmensweite Regelung geschaffen, wonach in Zukunft sichtbare religiöse, politische und sonstige weltanschauliche Zeichen am Arbei...