Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausreichende Begründung der Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG. Konkretisierungsnotwendigkeit bezüglich eines "Verstoßes gegen Rechtsvorschriften" i.S.d. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG. Zulässige günstigere außertarifliche Vergütungsvereinbarung bei Bestehen einer Betriebsvereinbarung über Gehaltsbandbreiten. Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bezüglich der Eingruppierung des Arbeitnehmers. Kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei Individualabreden zur Entgelthöhe. Wochenfrist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG1 als Ausschlussfrist

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Betriebsrat verweigert seine Zustimmung schon dann "unter Angabe von Gründen" im Sinne von § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, wenn es als möglich erscheint, dass mit seiner schriftlich gegebenen Begründung einer der in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Verweigerungsgründe geltend gemacht wird.

2. Soweit der Betriebsrat seine Zustimmungsverweigerung auf einen Verstoß gegen Rechtsvorschriften im Sinne von § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG stützen will, muss er den Inhalt der Rechtsvorschriften, gegen die der Arbeitgeber seiner Ansicht nach mit der personellen Einzelmaßnahme verstoßen soll, zumindest andeuten. Einer ausdrücklichen Benennung der Vorschriften oder des gesetzlichen Zustimmungsverweigerungsgrundes bedarf es im Rahmen von § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ebenso wenig wie der Schlüssigkeit der Zustimmungsverweigerung.

3. Es ist dem Arbeitgeber nicht verwehrt, im Einzelfall mit dem Arbeitnehmer eine außertarifliche Vergütung zu vereinbaren, die die in einer Betriebsvereinbarung für die betreffende außertarifliche Funktionsgruppe vorgesehene Gehaltsbandbreite übersteigt. Die zwingende Wirkung der Betriebsvereinbarung wird insoweit durchbrochen.

4. Auch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG erstreckt sich nicht auf arbeitsvertragliche Individualabreden zur Entgelthöhe. Daher sind die Betriebspartner nicht befugt, dem Arbeitgeber im Einzelfall die Vereinbarung einer höheren Vergütung mit dem Arbeitnehmer zu untersagen oder eine solche von der Zustimmung des Betriebsrats abhängig zu machen.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Mitbestimmt i.S.v. § 99 BetrVG ist die Eingruppierung als solche, d.h. die Zuordnung eines Arbeitnehmers aufgrund der von ihm vertragsgemäß auszuübenden Tätigkeit zu einer bestimmten Vergütungsgruppe einer im Betrieb geltenden Vergütungsordnung, unabhängig davon, ob diese kraft Tarifbindung wirkt, auf einer Betriebsvereinbarung beruht, aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung im Betrieb allgemein zur Anwendung gelangt oder vom Arbeitgeber einseitig geschaffen wurde.

2. Der Arbeitgeber darf stets mit dem Arbeitnehmer eine für diesen im Vergleich zu einer Betriebsvereinbarung günstigere Regelung vereinbaren, die zwingende Wirkung der Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 4 BetrVG wird insoweit durchbrochen (sog. Günstigkeitsprinzip).

3. Mit nicht innerhalb der Wochenfrist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG schriftlich mitgeteilten Gründen ist der Betriebsrat im Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG ausgeschlossen, diese kann er auch nicht nachschieben. Die Vorschriften über Form und Frist in § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG dienen der alsbaldigen Klarheit und Rechtssicherheit aller Beteiligten.

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10, § 99 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3-4, § 77 Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 12.09.2022; Aktenzeichen 8 BV 15/22)

 

Tenor

  1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 12.09.2022, Az. 8 BV 15/22, wird abgeändert.
  2. Der Antrag auf Feststellung, dass die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur Eingruppierung des Mitarbeiters E. E. ab dem 01.07.2022 in die Funktionsgruppe AT II als erteilt gilt, wird zurückgewiesen.
  3. Die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur Eingruppierung von Herrn E. E. ab dem 01.07.2022 in die Funktionsgruppe AT II wird ersetzt.
  4. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
  5. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten zuletzt noch um die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zu einer Eingruppierung.

Der Beteiligte zu 2) ist der bei der Antragstellerin (im Folgenden: Arbeitgeber) gebildete Betriebsrat (im Folgenden: Betriebsrat). In einer für den Betrieb geltenden "Betriebsvereinbarung über die Einführung von Funktionsgruppen und Gehaltsbandbreiten im außertariflichen Bereich" vom 29.10.2010 (im Folgenden: BV AT) heißt es u.a.:

"§ 1 Geltungsbereich

Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Mitarbeiter/innen ..., soweit sie nicht unter den Geltungsbereich des VTV fallen. Gegenstand dieser Betriebsvereinbarung ist das Vergütungssystem für außertarifliche Mitarbeiter (AT-Mitarbeiter).

§ 3 Funktionsgruppen / Gehaltsbänder

1. Die Tätigkeit wird nach Funktionsgruppen bezahlt ...

2. Funktionsgruppen

Zur Festlegung der individuellen Gehälter werden 2 Funktionsgruppen gebildet:

AT I: Gruppenleiter, Teamleiter und ...

AT II: Produktionsleiter, Abteilungsleiter und ...

Bei der Umgruppierung / Eingruppierung in ein...

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