Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmung bei Zuordnung eines Beschäftigten zum außertariflichen Mitarbeiterkreis (AT-Bereich). Umfang der Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers nach § 99 Abs. 1 BetrVG. Ergänzung der Unterrichtung des Betriebsrats

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG dient der einheitlichen und gleichmäßigen Anwendung der Vergütungsordnung in gleichen und vergleichbaren Fällen. Danach stellt die Entscheidung darüber, ob das Aufgabengebiet eines Mitarbeiters höhere Anforderungen stellt als die höchste tarifliche Beschäftigungsgruppe es verlangt und dessen Entgelt und allgemeine Arbeitsbedingungen die tariflichen Definitionen überschreiten, eine mitbestimmungspflichtige Eingruppierungsentscheidung dar.

2. Die vollständige Unterrichtung des Betriebsrats ist Voraussetzung dafür, dass dieser seine Rechte nach § 99 Abs. 2 BetrVG wahrnehmen kann. Daraus folgt, dass die Unterrichtung des Arbeitgebers sich auf diejenigen tatsächlichen Umstände erstrecken muss, die die Prüfung eines Zustimmungsverweigerungsgrundes ermöglichen. Darf der Arbeitgeber davon ausgehen, dass die eingruppierungsrelevanten Umstände bekannt sind, ist es Sache des Betriebsrats, weitere Informationen zu verlangen, wenn er nicht über alle für die Ausübung seines Mitbestimmungsrechts erforderlichen Angaben verfügt.

3. Der Arbeitgeber kann auch noch im Zustimmungsverfahren fehlende Informationen an den Betriebsrat nachreichen. Ergänzt er seine Unterrichtung, setzt er damit eine neue Wochenfrist i.S.d. § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG in Gang.

 

Normenkette

BetrVG § 99 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, Abs. 2, 4; MTV Chemie § 1 Nr. 2 Fassung: 2016-02-02

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 02.07.2020; Aktenzeichen 9 BV 55/19)

 

Tenor

  1. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 2. Juli 2020, Az.: 9 BV 55/19, teilweise abgeändert.

    Die Anträge der Beteiligten zu 1 werden insgesamt zurückgewiesen.

  2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren noch darüber, ob die Zustimmung des Beteiligten zu 2 zur Einstufung der Mitarbeiterin Frau P. in den AT-Bereich als erteilt gilt, hilfsweise zu ersetzen ist.

Die Beteiligte zu 1 ist ein Unternehmen der chemischen Industrie. Sie unterliegt aufgrund ihrer Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband der Tarifbindung und wendet für die Tarifbeschäftigten die Tarifverträge für die chemische Industrie in Rheinland-Pfalz an. Am Standort in M. beschäftigt sie insgesamt rund 500 Beschäftigte, davon rund je die Hälfte im Innen- und Außendienst. Bei der Beteiligten zu 1 ist ein Betriebsrat gebildet - der Beteiligte zu 2.

Die beiden Beteiligten befinden sich derzeit in einem Einigungsstellenverfahren, zu dessen Gegenstand auch die Schaffung eines AT-Vergütungssystems zählt.

§ 1 "Geltungsbereich" Nr. 2 des Manteltarifvertrages vom 24. Juni 1992 in der Fassung vom 2. Februar 2016 bestimmt hinsichtlich seines persönlichen Geltungsbereichs:

"für die den Tarifvertragsparteien angehörenden Mitglieder, nämlich Arbeitgeber und in deren Betrieben tätige Arbeitnehmer, nicht aber für Arbeitnehmer, deren Aufgabengebiet höhere Anforderungen stellt als die höchste tarifliche Beschäftigungsgruppe verlangt und deren Entgelt und allgemeine Arbeitsbedingungen im Ganzen gesehen die tariflichen Mindestbestimmungen überschreiten, wenn sie durch Einzelvertrag aus dem Geltungsbereich des Tarifvertrages unter Mitbestimmung des Betriebsrates gemäß §§ 99 ff. BetrVG herausgenommen worden sind. (...)".

Am 17. September 2019 schrieb die Beteiligte zu 1 in ihrem internen Stellenportal eine Stelle als Regional Medical Advisor aus (Bl. 11 d. A.), die befristet bis zum 31. Dezember 2020 zu besetzen war. Auf diese Stellenausschreibung bewarb sich unter anderem Frau V. P., die bei der Beteiligten zu 1 bereits seit dem 18. März 2019 im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung auf dieser Position eingesetzt war.

Am 7. Oktober 2019 bat die Beteiligte zu 1 den Beteiligten zu 2 um Zustimmung zur Einstellung der Frau P. Dieses Schreiben ging dem Beteiligten zu 2 am 7. Oktober 2019 zu. In diesem Schreiben (Bl. 12 d. A.) heißt es auszugsweise:

"Unterrichtung des Betriebsrats gemäß § 99 BetrVG

Einstellung und Eingruppierung von Frau V. P.

Sehr geehrter Herr R.,

wie beabsichtigen zum 01.01.2020 folgende Einstellung vorzunehmen:

- Name, Vorname

P., V.

- geboren am

(...)

- wohnhaft in:

(...)

- Einstellung ab:

01.01.2020

- befristet bis:

31.12.2020

- als:

Regional Medcial Advisor Biopharm

- in Abteilung:

Clinical, Medical & Regulatory

- Tarifgruppe:

AT

- Interne Bewerbungen:

V. P. (Arbeitnehmerüberlassung)

- Bewerbungen Leiharbeitnehmer:

keine

Anlagen:

- Lebenslauf V. P.

- Stellenausschreibung

Wir bitten höflichst um Ihre Zustimmung."

Mit E-Mail vom 8. Oktober 2019 (Bl. 13 d. A.) teilte die Assistentin des Beteiligten zu 2, die auch dessen Mitglied ist, mit:

"Liebe Frau S., lieber Herr C.,

ich bin allein im Büro und komm hier gerade ganz schlecht ...

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