Entscheidungsstichwort (Thema)
Freistellung von Betriebsratsmitgliedern unter Berücksichtigung regelmäßig beschäftigter Leiharbeitnehmer
Leitsatz (amtlich)
Berücksichtigung regelmäßig beschäftigter Leiharbeitnehmer beim Schwellenwert des § 38 Abs. 1 BetrVG Bei der Ermittlung der Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer nach § 38 Abs. 1 BetrVG sind vom Arbeitgeber regelmäßig eingesetzte Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Beantwortung der Frage, ob zur Bestimmung der Betriebsgröße im Rahmen der Schwellenwerte für die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern die im Betrieb regelmäßig beschäftigte Leiharbeitnehmer als Arbeitnehmer im Sinne des § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gelten, sind das gesetzliche Konzept sowie die Funktion des Arbeitnehmerbegriffs in § 38 BetrVG angemessen zu berücksichtigen.
2. Die in den Organisationsvorgaben geregelte Abhängigkeit der Betriebsratsgröße oder des Freistellungsumfangs von der Anzahl der in der Regel im Betrieb beschäftigten (wahlberechtigten) Arbeitnehmer trägt dem Umstand Rechnung, dass hiervon der dem Betriebsrat entstehende Tätigkeitsaufwand maßgeblich bestimmt wird, da der Betriebsrat umso mehr (freizustellende) Mitglieder haben soll, je mehr Arbeit im Betriebsrat anfällt; die Zunahme an Betriebsratsaufgaben, die mit der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern verbunden ist, ist so erheblich, dass ihr durch eine entsprechende Berücksichtigung bei der Zahl der freizustellenden Betriebsräte Rechnung zu tragen ist.
Normenkette
BetrVG § 38 Abs. 1, 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 30.10.2014; Aktenzeichen 11 BV 8/14) |
Nachgehend
Tenor
- Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 30.10.2014 - 11 BV 8/14 - wird zurückgewiesen.
- Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
Die Beteiligten streiten über die Anzahl der von ihrer beruflichen Tätigkeit freizustellenden Betriebsratsmitglieder gemäß § 38 Abs. 1 S. 1 BetrVG.
Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 2) betreibt ein Unternehmen der Automobilzulieferindustrie. Sie beschäftigt an ihrem Standort in Z regelmäßig ca. 450 Arbeitnehmer, mit denen sie einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat. Daneben beschäftigt sie seit Jahren ca. 150 Leiharbeitskräfte. Die Leiharbeitskräfte sind zum Teil über mehrere Jahre im Betrieb eingesetzt und ihr Einsatz erfolgt zum ganz überwiegenden Teil auf Dauerarbeitsplätzen.
Antragsteller (Beteiligter zu 1) ist der bei der Arbeitgeberin für den Betrieb gebildete, aus elf Mitgliedern bestehende Betriebsrat. Ein Betriebsratsmitglied ist von seiner beruflichen Tätigkeit vollzeitig freigestellt.
Die Beteiligte zu 2. hat eine Übersichtsgrafik zur Personalentwicklung vom 21. Oktober 2014 (Bl. 110 d. A.), eine Leiharbeitnehmerstatistik für die Zeit von 2003 bis September 2014 (Bl. 102 d. A.), eine Übersicht "Stammbelegschaft" für die Zeit von 2012 bis September 2014 (Bl. 103 ff. d. A.), eine Aufstellung zum Beschäftigungsstand für das vollständige Jahr 2014 (Bl. 178 d. A.) und Januar 2015 (Bl. 179 d. A.) zur Akte gereicht. Weiterhin hat der Beteiligte zu 1. im Termin vor dem Landesarbeitsgericht eine Aufstellung zum Beschäftigungsstand für das Jahr 2015 bis einschließlich Juni 2015 (Bl. 200 d. A.) zur Akte gereicht. Weiter wurde im Termin eine Mitarbeiterliste (Bl. 200 ff. d. A.) zur Akte gereicht.
Mit Schreiben vom 05. Juni 2014 (Bl. 5 f. d. A.) beanspruchte der Betriebsrat im Hinblick auf die bei der Arbeitgeberin beschäftigten Leiharbeitnehmer die Freistellung eines zweiten Betriebsratsmitglieds, was die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 18. Juni 2014 (Bl. 7 f d. A.) ablehnte.
Mit Antragsschrift vom 01. August 2014, eingegangen beim Arbeitsgericht am 04. August 2014, hat der Beteiligte zu 1. das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet.
Der Beteiligte zu 1. hat erstinstanzlich vorgebracht:
Die Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts zur Berücksichtigungsfähigkeit von Leiharbeitskräften bei den Schwellenwerten des § 9 BetrVG würden auch bezüglich des § 38 BetrVG zur zwingenden Berücksichtigung der Leiharbeitskräfte bei der Anzahl der zu gewährenden Freistellungen führen. Durch die Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer werde maßgeblich der Tätigkeitsaufwand des Betriebsrats bestimmt, so dass die vorgesehenen Staffelungen sicherstellten, dass die Zahl der Betriebsratsmitglieder in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl der betriebsangehörigen Arbeitnehmer stehe. Der Betriebsrat sei in erheblichem Umfang auch für die Interessen der im Betrieb eingesetzten Leiharbeitskräfte zuständig.
Den angeblich geplanten Abbau von etwa 115 Arbeitsplätzen habe die Antragsgegnerin erstmals während einer Betriebsversammlung im Juli 2014 behauptet. Er - der Beteiligte zu 1. - habe die Antragsgegnerin mehrfach aufgefordert, hierzu Einzelheiten zu benennen. Er habe jedoch keine Informationen erhalten. Deshalb würden die behaupteten Maßnahmen sowohl...