Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame außerordentliche Verdachtskündigung eines Betriebsratsmitglieds bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zur Dringlichkeit des Verdachts. Unbegründeter Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin zu verhaltensbedingter Kündigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Stützt die Arbeitgeberin den wichtigen Grund im Sinne des § 15 Abs. 1 KSchG und § 626 Abs. 1 BGB auf das Verhalten des Betriebsratsmitglieds, muss dieses sich als Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen; ist einem Betriebsratsmitglied dagegen ausschließlich eine Verletzung seiner Amtspflichten vorzuwerfen, ist nur ein Ausschlussverfahren nach § 23 Abs.1 BetrVG möglich.
2. Ein Verhalten verletzt ausschließlich Amtspflichten, wenn das Betriebsratsmitglied lediglich "kollektivrechtliche" Pflichten verletzt hat.
3. Verstößt das Verhalten des Betriebsratsmitglieds sowohl gegen kollektivrechtliche Pflichten als auch gegen eine für alle Beschäftigten gleichermaßen geltende vertragliche Pflicht, liegt (jedenfalls auch) eine Vertragspflichtverletzung vor; in solchen Fällen ist an die Berechtigung der fristlosen Kündigung ein "strengerer" Maßstab anzulegen als bei einem Arbeitnehmer, der dem Betriebsrat nicht angehört.
4. Der nach § 626 Abs. 1 BGB im Wege einer Interessenabwägung vorzunehmenden Zumutbarkeitsprüfung ist fiktiv die ordentliche Kündigungsfrist des Funktionsträgers zugrunde zu legen; fristlos kann ein Betriebsratsmitglied nur gekündigt werden, wenn der Arbeitgeberin bei einem vergleichbaren Nichtbetriebsratsmitglied dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre.
5. Besteht der Verdacht, dass ein Betriebsratsmitglied eine Fahrt mit einem Firmenfahrzeug als Betriebsratstätigkeit deklariert hat, obwohl es dabei zumindest vorrangig nicht um die Erledigung von Betriebsratsaufgaben sondern darum ging, den Kolonnenführer M. für eine Kandidatur auf seiner Wahlvorschlagsliste anzuwerben, ist dieser Verdacht kein dringender, wenn das Betriebsratsmitglied nicht von vorneherein ausschließlich beabsichtigte, bei dem Besuch der Kolonne Herrn M. für eine Kandidatur anzuwerben, sondern im Betriebsrat bereits seit längerer Zeit die Ansicht vertreten wurde, dass auch Beschäftigte der Kolonnen, die naturgemäß kaum vor Ort sind, besucht werden müssen, um ihnen die Möglichkeit einzuräumen, Kontakt mit dem Betriebsrat zu pflegen und diesen mit bestimmten Anliegen zu beauftragen.
6. Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört; je länger eine Vertragsbeziehung länger ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird, wobei es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung der Arbeitgeberin oder bestimmter für sie handelnder Personen ankommt sondern darauf, ob die Arbeitgeberin aus einem objektiven Blickwinkel heraus noch hinreichendes Vertrauen haben müsste.
Normenkette
BetrVG § 103 Abs. 2, § 23 Abs. 1; BGB § 626 Abs. 1; BetrVG § 103 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 07.08.2014; Aktenzeichen 11 BV 3/14) |
Tenor
I.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 07.08.2014, Az.: 11 BV 3/14, wird zurückgewiesen.
II.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die antragstellende Arbeitgeberin begeht die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats (Beteiligter zu 2.) zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. Hilfsweise begehrt die Antragstellerin den Ausschluss des Beteiligten zu 3. aus dem Betriebsrat.
Bei der Antragstellerin handelt es sich um ein Unternehmen der Fertighausbranche, welches in S. eine Produktionsstätte zur Herstellung von Fertighausteilen unterhält. Sie beschäftigt insgesamt ca. 550 Mitarbeiter, davon ca. 240 Mitarbeiter in der Produktion, ca. 220 Mitarbeiter in der Verwaltung und ca. 90 Mitarbeiter in Montagekolonnen. Eine dieser Montagekolonnen wird derzeit auf einer Baustelle in C. eingesetzt, geleitet von dem Kolonnenführer M.
Im Betrieb der Antragstellerin war bis zur Neuwahl im Jahr 2014 ein Betriebsrat gebildet, dessen stellvertretender Vorsitzender der Beteiligte zu 3. war.
Der am 04.04.1971 geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Beteiligte zu 3 ist seit dem 15.08.1994 bei der Antragstellerin als technischer Angestellter in der Produktion tätig. Sein ausschließlicher Tätigkeits- bzw. Einsatzbereich befindet sich in der Betriebsstätte in S.. Seit April 2010 war er Mitglied des Betriebsrats und bewarb sich auch für die im Jahr 2014 anstehenden Betriebsratswahlen in einer Vorschlagsliste. Die Frist zur Einreichung von Wahlvorschlagslisten lief am Mittwoch, dem 26.02.2014, ab.
Am Donnerstag, dem 20.02.2014, fand e...