Entscheidungsstichwort (Thema)
Forderung. Gegenstandswert. Realisierbarkeit. Schadensersatz. Schadensersatzanspruch. Streitwert. Vergleichsmehrwert. Wertfestsetzung. außergerichtlich. realisierbar. Vergleichsmehrwert bei zweifelhafter Realisierbarkeit der außergerichtlich geltend gemachten Forderung
Leitsatz (amtlich)
Wird eine außergerichtlich geltend gemachte hohe Schadensersatzforderung wegen Zweifeln an ihrer Realisierbarkeit nicht eingeklagt, scheidet beim Abschluss eines Vergleiches, bei dem diese Forderung einbezogen wird, eine Ansetzung des vollen Wertes dieser Forderung bei der Festsetzung des Vergleichsmehrwerts aus. Der wirtschaftliche Wert der Forderung ist dann vielmehr nach dem zu schätzenden Umfang der Realisierungsmöglichkeit der Forderung zu bemessen.
Normenkette
ZPO § 3; RVG § 33 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Beschluss vom 22.01.2010; Aktenzeichen 10 Ca 1515/09) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 22.01.2010 – in Gestalt der Abhilfeentscheidung vom 11.02.2010 – wie folgt abgeändert:
- Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für den Vergleich wird auf 581.670,63 EUR festgesetzt.
- Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Beschwerdeführer keine auferlegt.
- Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Tatbestand
I.
Im vorliegenden Beschwerdeverfahren begehrt der Kläger die Reduzierung eines Vergleichsmehrwertes.
Der Kläger war bei der Beklagten seit Juli 1981 zuletzt als Abteilungsleiter Rechnungswesen beschäftigt. Die Beklagte hat das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30.06.2009 außerordentlich gekündigt im Wesentlichen mit der Begründung, der Kläger habe in Überschreitung seiner Arbeitspflichten ihr Verluste durch Bankgeschäfte (Zinsderivate und Zinswaps) in Höhe von über 8,8 Mio. EUR zugefügt.
Der Kläger hat neben einer entsprechenden Kündigungsschutzklage noch weitergehende Anträge gestellt und sich gegen eine Widerklage auf Rückzahlung eines Arbeitgeberdarlehens im vorliegenden Klageverfahren zur Wehr gesetzt.
Die Beklagte hat sich im Laufe des Prozessverfahrens – ohne eine solche Forderung rechtshängig zu machen – eines entsprechenden Schadensersatzanspruches gegenüber dem Kläger in Höhe von 8.816.492,88 EUR berühmt, den der Kläger geleugnet hat.
Die Parteien haben unter dem 28.12.2009 den Rechtsstreit gütlich beigelegt und hierbei unter anderem die Haftungshöhe des Klägers auf maximal 5 Mio. EUR begrenzt. In Höhe von 5 Mio. EUR hat der Kläger eine entsprechende Diensthaftpflichtversicherung abgeschlossen.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 22.01.2010 (Bl. 387 und 388 d.A.) unter anderem den Gegenstandswert für den Vergleich auf 3.860.764,70 EUR festgesetzt.
Gegen diese Festsetzung hat der Kläger über seine Prozessbevollmächtigten – diese haben mittlerweile klargestellt, dass der Kläger Beschwerdeführer ist – Beschwerde eingelegt, soweit das Arbeitsgericht einen Vergleichsmehrwert ungeschmälert an Hand des Forderungsschreibens der Beklagten festgesetzt hat. Nach Ansicht des Beschwerdeführers dürfe nur ein Bruchteil des Wertes des geltend gemachten Schadens in Ansatz gebracht werden, weil eine Schadensrealisierung in der genannten Höhe unrealistisch sei.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 11.02.2010 auf Grund der Einwendungen des Beschwerdeführers den Schadensersatzverzicht der Beklagten um die Hälfte reduziert und im Übrigen der Beschwerde nicht abgeholfen.
Das Beschwerdegericht hat mit Hinweisbeschluss vom 19.04.2010 die am Beschwerdeverfahren Beteiligten darauf hingewiesen, dass es beabsichtigt, einen Vergleichsmehrwert – nur noch dieser ist zwischen den Beteiligten streitig – in Höhe von 530.000,– EUR festzusetzen. Dabei ging das Beschwerdegericht davon aus, dass bei dem Kläger derzeit monatlich maximal 2.500,– EUR pfändbar seien und für die Zeit ab des Renteneintritts des Klägers dürfte sich dieser Betrag auf ca. 1.600,– EUR belaufen. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 80 Jahren ergebe dies ein Gesamtbetrag von rund 530.000,– EUR der bei dem Kläger gepfändet werden könne und damit als realisierbar erscheine.
Gegen eine derartige Festsetzung haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers eingewendet, nach der Rechtsprechung des BGH und der Oberlandesgerichte sei bei der Festsetzung des Streitwertes der Nennbetrag des vollstreckbaren Anspruchs ohne Rücksicht auf seine Realisierbarkeit anzusetzen (vgl. BGH, NJW RR 1988, 444; OLG Karlsruhe FamRZ 2004, 1226).
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Beschwerde des Klägers ist zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Auch übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes den Mindestbeschwerdewert von 200,– EUR im Sinne von § 33 Abs. 3 S.1 RVG.
2. In der Sache ist das Rechtsmittel auch zum überwiegenden Teil begründet. Der Vergleichsmehrwert – nur dieser ist zwischen den Beteiligten streitig – auf Grund des einseitig erklärten Klageverzichts der Beklagten in Höhe von knapp über 3,8...