Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung einer Betriebsvereinbarung. Begrifflichkeiten und Sinn und Zweck der Regelung als Auslegungskriterien bei der Abgrenzung zwischen Tarif- und AT-Mitarbeitern
Leitsatz (redaktionell)
1. Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen. Ausgehend vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmungen an. Darüber hinaus sind Sinn und Zweck der Regelung von besonderer Bedeutung. Im Zweifel gebührt derjenigen Regelung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt.
2. Sprechen bestimmte Begrifflichkeiten wie "Entgelt der höchsten ERA-Gruppe" und auch ihr Sinn und Zweck für eine Abstandsklausel zum Entgelt der höchsten ERA-Gruppe, so kann das Gericht dieser Auslegung auch dann folgen, ohne dass dies im Hinblick auf den sehr knappen Wortlaut und Umfang der Formulierung ein zwingendes Ergebnis wäre.
Normenkette
BetrVG § 77; ZPO § 256; BetrVG § 5 Abs. 3-4
Verfahrensgang
ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 02.02.2021; Aktenzeichen 6 BV 13/20) |
Tenor
- Die Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein - Auswärtige Kammern Landau - vom 02.02.2021, Az. 6 BV 13/20, wird zurückgewiesen.
- Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Auslegung einer Betriebsvereinbarung. Antragssteller ist der bei der Beteiligten zu 2 gebildete Betriebsrat. Die Betriebsparteien schlossen im Jahr 2013 eine Betriebsvereinbarung "AT-Beschäftigte und Vertrauensarbeitszeit am Standort A-Stadt".
Deren § 2 lautet:
Der Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz sieht vor, dass es Beschäftigte gibt, deren Aufgabengebiet höhere Anforderungen stellt, als es die höchste tarifliche Entgeltgruppe verlangt. Diese Beschäftigten müssen über Kenntnisse und Fertigkeiten verfügen, wie sie durch den Abschluss einer mindestens vierjährigen Hochschulausbildung erworben werden, sowie über Fachkenntnisse und langjährige spezifische Berufserfahrung, die über die in ERA E 11 geforderten hinausgehen. (...) Diese Mitarbeiter werden AT-Beschäftigte genannt, soweit sie nicht leitende Angestellte gem. § 5 Abs. 3, 4 BetrVG sind.
§ 3 der Betriebsvereinbarung lautet:
Betriebsrat und Geschäftsführung kommen überein, dass als Abstandsregel zur höchsten tariflichen Entgeltgruppe folgende Untergrenze des Jahresgehalts festgelegt wird:
Das Entgelt der höchsten ERA-Gruppe: 35 Stunden x 40 Stunden x 13,24 = Basis (Basis= Untergrenze AT-Jahresgehalt).
Eine Aktualisierung wird vorgenommen, sobald sich die ERA-Tarife ändern.
Der Betriebsrat ist der Auffassung, dass unter den Begriff des AT- Jahresgehalts im Sinne der Betriebsvereinbarung keine Bonuszahlungen nach individuellen Zielvereinbarung zu fassen seien. Er hat hierzu erstinstanzlich vorgetragen, dass es andernfalls sein könne, dass das Gehalt eines AT-Mitarbeiters unter dem eines nach Tarifvertrag vergüteten Mitarbeiters liege, wenn nämlich der AT-Mitarbeiter sein individuelles Ziel nicht erreiche und damit bei seiner Grundvergütung verbliebe, die unterhalb der höchsten Tarifgruppe liegen könne. § 3 der Betriebsvereinbarung definiere das Mindestgehalt. Dies könne denknotwendig nur tatsächlich garantierte Gehaltszahlungen wie das monatliche Entgelt, das Urlaubsgeld und ein Weihnachtsgeld oder sonstige vertraglich garantierte Gratifikationen umfassen.
Erstinstanzlich hat der Betriebsrat zuletzt beantragt,
festzustellen, dass bei der Untergrenze des Jahresgehalts eines außertariflichen Arbeitnehmers der Beteiligten zu 2) gemäß § 3 der Betriebsvereinbarung "AT-Beschäftigte und Vertrauensarbeitszeit am Standort A-Stadt" vom 15.08.2013 Bonuszahlungen nach individuellen Zielvereinbarungen nicht zu berücksichtigen sind.
Die Arbeitgeberin hat erstinstanzlich beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Hierzu hat sie erstinstanzlich vorgetragen, der Antrag sei bereits unzulässig. Es fehle die Antragsbefugnis des Betriebsrats. Auch ein bestehender Durchführungsanspruch des Betriebsrats berechtige diesen nicht dazu, die durch die Betriebsvereinbarung begründeten individualrechtlichen Ansprüche der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber in einem Beschlussverfahren durchzusetzen. Dies aber begehre der Betriebsrat letztendlich und wolle die individuelle Geltendmachung der Ansprüche entbehrlich machen.
Der Antrag sei auch unbegründet. Es sei kein Grund erkennbar, weswegen Tantiemen und Prämien ausnahmsweise nicht vom Begriff des Jahresgehalts umfasst werden sollten. Der umfassende Begriff des Jahresgehalts werde auch steuerrechtlich verwendet. Sämtliche Zahlungen seien einzubeziehen.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag mit Beschluss vom 02.02.2021 stattgegeben. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, aufgrund der Erfolgsabhängigkeit der Tätigkeit und der sich daraus ergebenden Bonusansprüche stehe nicht von vornherein fest, ob ...