Entscheidungsstichwort (Thema)
Präjudizielle Bindungswirkung bei betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten. Keine Sperrwirkung aus § 77 Abs. 3 BetrVG bei Verzicht auf tarifliche Regelung. Schadensersatz bei unterbliebener Zielvereinbarung
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine zwischen den Betriebsparteien ergangene rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über den Inhalt einer Betriebsvereinbarung wirkt gegenüber den Arbeitnehmern, die später Ansprüche aus dieser Betriebsvereinbarung für sich geltend machen. Diese präjudizielle Bindungswirkung greift ein, wenn die Rechtslage eines Arbeitnehmers durch eine bereits entschiedene kollektive Vorfrage geprägt und daher seine individuelle Position in ein übergreifendes Bezugssystem einzuordnen ist.
2. Wollten die Tarifvertragsparteien die Arbeitsbedingungen einer bestimmten Arbeitnehmergruppe ausdrücklich nicht regeln, kann dieser Verzicht auf eine tarifliche Regelung keine Sperrwirkung für eine entsprechende Betriebsvereinbarung auslösen. Eine Betriebsvereinbarung über die Bezüge von AT-Angestellten ist deshalb zulässig.
3. Ist im Arbeitsvertrag eine jährliche Zielvereinbarung zum Erreichen einer Tantieme vorgesehen, kommt der Arbeitgeber aber dieser Verpflichtung zur Vereinbarung der Zielvereinbarung schuldhaft nicht nach, kann der Arbeitnehmer keine Tantieme erreichen. In diesem Fall hat er einen Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitgeber.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 3; ZPO § 256 Abs. 1, § 259; GG Art. 9 Abs. 3; ZPO § 325; BGB § 280 Abs. 1, 3, § 283; ERA Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz § 1 Abs. 2a; ERA Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz EG 10; ERA Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz EG 11; BV-AT § 2 Fassung: 2013-08-15, § 3 Fassung: 2013-08-15
Verfahrensgang
ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 25.03.2021; Aktenzeichen 5 Ca 674/20) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein - Auswärtige Kammern Landau - vom 25.03.2021, Az. 5 Ca 674/20, teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt,
an den Kläger € 7.179,77 brutto
nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils € 598,31 seit dem 01.02., 01.03., 01.04., 01.05., 01.06., 01.07., 01.08., 01.09., 01.10., 01.11., 01.12.2019 und 01.01.2020 zu zahlen,
an den Kläger € 6.095,20 brutto
nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils € 609,52 seit dem 01.02., 01.03., 01.04., 01.05., 01.06., 01.07., 01.08., 01.09., 01.10. und 01.11.2020 zu zahlen,
- an den Kläger für das Jahr 2019 eine weitere Tantieme iHv. € 731,43 brutto zu zahlen.
- Die weitergehende Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten werden zurückgewiesen.
- Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 1/4 und die Beklagte 3/4 zu tragen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten - zweitinstanzlich noch - über Differenzvergütungsansprüche und eine Tantieme.
Der 1966 geborene Kläger ist Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik und seit Juni 2011 bei der Beklagten angestellt. Er ist Mitglied der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) und seit März 2014 Mitglied des Betriebsrats. Die Beklagte, ein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, beschäftigt rund 240 Arbeitnehmer. Sie ist Mitglied des Arbeitgeberverbands der Pfälzischen Metall- und Elektroindustrie e.V. (PfalzMetall).
Im Entgeltrahmenabkommen für die Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz (ERA) heißt es auszugsweise:
"§ 1 Geltungsbereich
Dieser Tarifvertrag gilt
1. räumlich: ...
2. fachlich: ...
3. persönlich: für alle Beschäftigten (...) der in den fachlichen und räumlichen Geltungsbereich fallenden Betriebe.
Er gilt nicht für Beschäftigte,
a. deren Aufgabengebiet höhere Anforderungen stellt, als die höchste tarifliche Entgeltgruppe es verlangt, und deren Vertragsbedingungen im Ganzen gesehen die tariflichen Bedingungen überschreiten, sofern sie durch Einzelarbeitsvertrag aus dem Geltungsbereich des Tarifvertrages herausgenommen worden sind;
b. die in absehbarer, vertraglich vereinbarter Zeit zum Personenkreis gem. Buchstabe a) gehören werden."
Geschäftsleitung und Betriebsrat schlossen am 15.08.2013 eine Betriebsvereinbarung "AT-Beschäftigte und Vertrauensarbeitszeit am Standort C-Stadt" (im Folgenden BV-AT), die auszugsweise wie folgt lautet:
"§ 2
Der Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz sieht vor, dass es Beschäftigte gibt, deren Aufgabengebiet höhere Anforderungen stellt, als es die höchste tarifliche Entgeltgruppe verlangt.
Diese Beschäftigten müssen über Kenntnisse und Fertigkeiten verfügen, wie sie durch den Abschluss einer mindestens vierjährigen Hochschulausbildung erworben werden, sowie über Fachkenntnisse und langjährige spezifische Berufserfahrung, die über die in ERA E 11 geforderten hinausgehen. (...) Diese Mitarbeiter werden AT-Beschäftigte genannt, soweit sie nicht leitende Angestellte gem. § 5 Abs. 3, 4 BetrVG sind.
§ 3
Betriebsrat und Geschäftsführung kommen überein, dass als Abstandsregel zur höchsten t...